Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Forschung ist bereits wiederholt auf die nahe Verwandtschaft zwischen der Enzyklika und dem Anti-Rassismus-Syllabus der Studienkongregation hingewiesen worden. Dieser erschien am 13. April 1938 als ein Reskript der Studienkongregation an die katholischen Universitäten und Fakultäten, das acht Thesen mit Aussagen über den Rassismus enthielt, die der katholischen Lehre widersprachen.[ 77 ] Die Theologen erhielten den Auftrag, diese Sätze kritisch zu diskutieren, den Grad ihrer Verderbtheit zu bestimmen und sie zu widerlegen. Bislang galten diese Sätze als Ergebnis interner Beratungen der Studienkongregation,die für die Aufsicht des katholischen Bildungswesens allgemein und die Kontrolle der theologischen Studien an den Universitäten und Priesterseminaren im besonderen zuständig war. Die neuen Quellen im Archiv der Glaubenskongregation belegen jedoch eindeutig, daß diese Thesen auf die Beschäftigung der obersten römischen Glaubensbehörde mit Hitlers
Mein Kampf
zurückgehen. So ist etwa die zweite Proposition, in der es um die Entfernungen zwischen den verschiedenen menschlichen Rassen und Tierarten ging, mehr oder weniger wortgleich in beiden Dokumenten zu finden.
Der Syllabus der Studienkongregation war ursprünglich nur zum internen Gebrauch bestimmt, ausschließlich die katholischen Theologen wurden beauftragt, sich mit diesen Thesen auseinanderzusetzen. Dennoch bekam die Presse vor allem in Italien, Frankreich und Deutschland schnell Wind von dieser Aktion. Hier erhielten die acht Thesen rasch den Titel «Syllabus gegen den Rassismus», den bezeichnenderweise auch die
Nationalsozialistischen Monatshefte
übernahmen. Unter der Überschrift «Der Papst organisiert den Kampf gegen die deutsche Rassenlehre» wies das von Alfred Rosenberg herausgegebene Parteiorgan – ohne zu wissen, daß Rom diese Sätze aus Hitlers
Mein Kampf
abgeleitet hatte – die römischen Unterstellungen mit Nachdruck zurück. Nicht nur würden die Ergebnisse der deutschen Rassenforschung «entstellt» wiedergegeben, vielmehr würden ihr auch «‹Lehrsätze› unterschoben, die von dieser nie aufgestellt worden sind».[ 78 ] Mit der Publikation der Thesen wurde wenigstens der Teil des großen Syllabus des Heiligen Offiziums, der sich mit dem nationalsozialistischen Rassismus beschäftigte, doch noch veröffentlicht –allerdings erfolgte die Verurteilung nicht mit der größtmöglichen Öffentlichkeitswirksamkeit; weil sie statt der Suprema die wesentlich weniger bedeutende Studienkongregation publizierte und der eigentliche Autor der verurteilten Sätze, Adolf Hitler, nicht namentlich genannt wurde.
Pius XI. hatte somit einen typisch römischen Kompromiß zwischen Dogma und Diplomatie gefunden. Der Sache nach waren die gefährlichen Ansichten, die sich in
Mein Kampf
fanden, im Syllabus der Studienkongregation widerlegt und in der Enzyklika «Mit brennender Sorge» der wahren katholischen Lehre gegenübergestellt worden. Damit entsprach der Papst den Erfordernissen der reinen Lehre. Aus politischenGründen war er jedoch nicht bereit, Roß und Reiter zu nennen, weil er den Führer und Reichskanzler nicht persönlich angreifen wollte und konnte. Das katholische Obrigkeitsdenken dürfte den Papst letztlich daran gehindert haben, Hitler namentlich zu verurteilen und sein Werk auf den
Index
zu setzen. Vielleicht folgte er auch einem Ratschlag des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber, der argumentiert hatte, die bisherigen Äußerungen Pius’ XI. «beweisen genug, wie sehr unsere heilige Kirche diese Bewegung als geradezu satanische verurteilt» habe. Eine «neue weitere Zensurierung durch die Kongregation des Heiligen Offiziums» hielt Gröber schlicht für kontraproduktiv.[ 79 ]
Damit schied eine dritte Option, gegen den nationalsozialistischen Diktator vorzugehen, die an der Kurie erwogen wurde, von vornherein ebenfalls aus – die der Exkommunikation Hitlers. Der Jesuit Tacchi-Venturi, der Mittelsmann Pius’ XI. beim «Duce», berichtete dem Papst am 10. April 1938 in einer Audienz von Forderungen Mussolinis, von seiten der Kurie entschiedener gegen den Führer vorzugehen.[ 80 ] Am 7. April habe Mussolini Tacchi-Venturi in einer privaten Unterredung mitgeteilt, man solle einen günstigen Augenblick abwarten, «um wirkungsvollere Maßnahmen zu ergreifen», wie zum Beispiel die Exkommunikation Hitlers. Der Diktator sei keine vorübergehende Erscheinung und habe für Deutschland zahlreiche Erfolge erreicht. Letztlich sei er
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