Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
nur durch einen Krieg aufzuhalten, den aber niemand wollen könne. Die Einlassungen Mussolinis zu einem entschiedeneren Vorgehen der Kurie gegen Hitler standen offenbar im Zusammenhang mit seiner Analyse der kirchenpolitischen Situation in Deutschland nach Erscheinen der Enzyklika «Mit brennender Sorge». Vor allem, um den gemeinsamen Kampf gegen den Kommunismus zu intensivieren, sei es notwendig, Hitler mit allen Mitteln zum Frieden mit der Kirche zu bringen.
Der Apostolische Nuntius in Italien, Francesco Borgongini Duca (1884–1954), kam in einem Schreiben an Kardinalstaatssekretär Pacelli vom 2. Mai 1938 ebenfalls auf dieses Thema zu sprechen. Er berichtete von einem Treffen mit dem italienischen Außenminister und Schwiegersohn Mussolinis, Galeazzo Ciano (1903–1944), in dem dieser sein tiefes Bedauern über die Verfolgungen der Kirche in Deutschland zum Ausdruck gebracht habe. Anders als Mussolini würdigteCiano ausdrücklich die Zurückhaltung der Kurie Hitler und dem nationalsozialistischen Regime gegenüber: Die Kirche habe glücklicherweise «keine außerordentlichen Sanktionen wie Exkommunikation oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen ergriffen».[ 81 ]
Die übereinstimmenden Berichte Tacchi-Venturis und Borgongini Ducas machen es wahrscheinlich, daß der «Duce» tatsächlich an kirchliche Sanktionen gegen Hitler dachte und dabei auch die Exkommunikation nicht ausschloß. Die diplomatischere Ansicht seines Schwiegersohns, der zur Mäßigung riet, scheint an der Kurie indes auf offenere Ohren gestoßen zu sein. Jedenfalls hatten die Überlegungen Mussolinis keine Folgen. Von der Einleitung eines Exkommunikationsverfahrens gegen Adolf Hitler finden sich in den Vatikanischen Archiven keinerlei Spuren. Die Beugestrafe des Kirchenbanns kam für einen Reichskanzler als staatliche Obrigkeit schlicht nicht in Frage. Hitler blieb bis zu seinem Tod Mitglied der katholischen Kirche. Auch ein Teufel konnte wie der Papst katholisch sein.
DANK
Achtzig Jahre nach der Verurteilung des Rassenantisemitismus durch den Heiligen Stuhl im Jahr 1928, fünfundsiebzig Jahre nach der «Machtergreifung» Hitlers 1933, siebzig Jahre nach der Reichspogromnacht 1938, fünfzig Jahre nach dem Tod Pius’ XII. 1958, schließlich fünf Jahre nach der Öffnung der deutschen Bestände des Pontifikats Pius’ XI. im Vatikanischen Geheimarchiv 2003 – das Jahr 2008 als Jahr der «Jubiläen» scheint sich in der Tat anzubieten, um Studien über das Verhältnis der katholischen Kirche zum «Dritten Reich» vorzulegen. Und es dürften aus diesem Anlaß nicht wenige neue Bücher erscheinen: Biographien über die Päpste Pius XI. und Pius XII. und vielleicht auch einige «Gesamtdarstellungen» zum Verhältnis von Vatikan und Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. Aber nach wie vor sind manche Zusammenhänge nicht endgültig geklärt; vor allem sucht man verzweifelt nach einer Erklärung für die Haltung der Päpste zur Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten und zum Holocaust.
Angesichts von über hunderttausend archivalischen Einheiten, also Schachteln, Faszikeln und Aktenbündeln mit teilweise bis zu tausend Blatt Umfang allein für die Zeit von 1922 bis 1939, dem gesamten Pontifikat Pius’ XI., die seit September 2006 im Vatikanischen Geheimarchiv der Forschung zugänglich sind, ist es für den Historiker schlicht unmöglich, eine «Gesamtdarstellung» zum Verhältnis von Vatikan und Nationalsozialismus oder gar eine abschließende Biographie der beiden Pius-Päpste vorzulegen. Wenn dies auf breitester Quellengrundlage methodisch verantwortungsvoll geschehen soll, werden dafür noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte intensiver Arbeit in den Archiven notwendig sein. Die Zielsetzung des vorliegenden Buches ist daher bescheidener. Anhand von fünf ausgewählten Themenfeldern geht es um die historische Rekonstruktion des «view from Rome» auf Deutschland zwischen 1917 und 1939. Dennder «Stellvertreter Christi auf Erden» und seine Mitstreiter sahen sich im Kampf mit den immer gefährlicheren Mächten der Moderne, einem kirchenfeindlichen Liberalismus, dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus. Die Lage in Deutschland beobachteten sie durch die römische Brille, die ihre ganz eigene Tönung und ihren ganz eigenen Fokus hatte. Vielen Katholiken erschien die Neuzeit als Kampf zwischen Papst und Teufel.
Die Verleihung des Leibniz-Preises durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Jahr 2003 hat meinen Mitarbeitern und mir
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