Paradies der Leidenschaft
tue. Ich kenne die Spielregeln und bin ziemlich gut.«
»Du weißt, dass es sich nicht gehört, oder würdest du dich sonst durch den Dienstbotenausgang aus dem Hause schleichen? Du würdest auch nicht diesen Umhang tragen, in dem dich niemand erkennt.« Sie schnaubte verächtlich. »Schlechte Wolle. Als ob du dir nichts anderes leisten könntest.«
Corinne warf einen Blick auf den schäbigen Mantel, der über dem Fußende ihres Bettes hing. »Darin erkennt mich niemand.«
»Du wirst noch Schande über die Familie bringen, Corinne Barrows.«
»Ich werde dieser Familie nie Schande machen.«
»Und wie ... «
»Du hast mich nicht ausreden lassen«, fiel ihr Corinne ins Wort. »Was glaubst denn du, warum ich mir Klubs aussuche, die so weit weg sind? Weil mich dort niemand kennt. In der ganzen Zeit habe ich in den Klubs erst zwei Leute getroffen, die ich gekannt habe.«
»Siehst du!«
»Sie werden keine Gerüchte über mich in Umlauf setzen, weil sie selbst ihre Geheimnisse haben.«
»Dein Vater ist dir auf die Schliche gekommen«, erinnerte sie Florence. »Der Himmel weiß, warum er damals nicht gleich ein Machtwort gesprochen und der Sache ein Ende bereitet hat.«
»Ich nehme an, er glaubt, dass ich erwachsen werde. Sowie ich in diesem Spiel ohne Limit mitspielen kann, wovon ich schon so lange träume, werde ich auch aufhören.«
»Du bist besessen, Cori. Du musst bald aufhören. Für manche kann das Spielen zur Sucht werden.«
»Das kann mir nicht passieren«, sagte Corinne zuversichtlich.
Sobald die letzte Nadel in ihrem Haar befestigt war, wollte Corinne, die ein Kleid aus lila Samt mit langen Ärmeln und hohem Kragen trug, das Haus verlassen. Sie holte ihr Geld aus einer verschlossenen Schublade und sah sich dann nach ihrer Handtasche um. Als sie sie nicht finden konnte, blickte sie finster drein. In der Tasche befand sich ihr kostbares kleines Messer, das sie besonders nachts gern bei sich trug.
»Hast du die grüne Seidentasche gesehen, die ich heute bei mir hatte, Florence?«
»Nein.«
»Dann muss ich sie in der Kutsche liegengelassen haben. Ich bin sicher, dass ich sie noch hatte, als ich das Café verlassen habe.«
»Du hast überhaupt nicht viel über das geredet, was heute Mittag los war«, bemerkte Florence.
»Weil es nichts zu erzählen gibt. Ich habe mich ziemlich gelangweilt.«
»So?«
»Lass mich in Ruhe!« sagte Corinne gereizt, da sie den Zweifel hörte, der in Florences Stimme mitschwang. »Hol mir eine andere Tasche! Ich bin ohnehin schon spät dran.«
Kurz darauf schlich sich Corinne in ihrer Vermummung durch das Haus und durch den Dienstbotenausgang ins Freie, wie schon in zahllosen anderen Nächten zuvor. Eine Ecke weiter erwartete sie der treue Russell zu gemeinsamen nächtlichen Eskapaden.
Wie eine dichte Decke hing der Rauch von den vielen Zigarren, Zigaretten und Pfeifen der anwesenden Herren über dem Raum. Der Rauch konnte nicht abziehen, weil die Fenster geschlossen und die dicken Vorhänge vorgezogen waren. Für den zufälligen Passanten musste das Haus aussehen wie jedes andere auch, aber für seine Bewohner stellte es eine Brutstätte des Lasters dar. Hier konnte man ein Vermögen gewinnen oder verlieren, und eine Liebesgeschichte konnte sich in aller Heimlichkeit weiterentwickeln.
Corinne hatte die oberen Räumlichkeiten des Hauses nie erforscht. Manchmal fragte sie sich, wie es dort oben wohl aussah. Russell hatte mehrfach versucht, sie zu überreden, mit ihm nach oben zu gehen - um allein etwas miteinander zu trinken, krächzte er in solchen Fällen. Schließlich war sie aber nicht blöde. Sie wußte, was er wollte, und es gelang ihm nicht, sie dazu zu bringen, dass sie es ebenfalls wollte.
Eines Nachts hatte Corinne sich ganz elend gefühlt, weil sie die Schreie eines Mädchens von oben gehört hatte. Niemand war hinaufgegangen. Niemand war dem armen Mädchen zur Rettung herbeigeeilt.
Schließlich war im oberen Stockwerk alles möglich, selbst ein Mord, da die beiden Teile des Hauses vollständig voneinander getrennt waren. Es bestand die feste Abmachung, dass niemals zwei Paare den Spielsaal zur gleichen Zeit verlassen durften. Auf diese Weise gab es keine Zeugen, wenn ein Paar für einige Stunden nach oben ging, statt sich auf den Heimweg zu machen.
Corinne verstand den Sinn dieser Regelung, aber sie verdross sie weil sie sich vorstellen konnte, dass die Männer im Spielsaal, wenn sie nach Hause ging, Überlegungen darüber anstellten, ob sie mit ihrem
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