Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
ein wenig leichter zu Mute. Wie lange es anhalten mochte?
Vincent starrte sie an und was immer er an Horrorfilmen gesehen hatte, beeindruckte ihn nicht so stark wie die Flut von Entsetzlichkeiten, die aus diesem kleinen Mädchen hervorbrach. Woher diese furchtbaren Vorstellungen nur herkamen? Wie sie nur auf solche Ideen gekommen war? Er wusste, dass ahnungslose Kinder über suggestives Fragen zu Aussagen getrieben werden konnten, die nichts mit ihren wahren Erlebnissen und Erfahrungen zu tun hatten. Ob Marcials perverse Phantasie sie zu solchen Vorstellungen getrieben hatte? Oder sollte es wirklich sein, dass ihre Vorstellungen in dieser Weise mit ihr durchgingen?
Schliesslich sagte er: „So, und jetzt denkst du nicht mehr an diese Dinge. Du lässt sie aus deinen Gedanken verschwinden. Von jetzt an, wenn diese Ideen in dir auftauchen, denkst du stattdessen an etwas Schönes. Oder du sagst es mir, und wir sprechen von etwas anderem. Wo auch immer dieses elende Sammelsurium herkommt, du brauchst es nicht zu kultivieren. Und mit Totenseelen, die dir solche Sachen anschleppen, brauchst du dich auch nicht abzugeben!“ erklärte Vincent bestimmt. Er wusste nicht, ob er sie damit erreichte, aber es war die einzige Art, die ihm einfiel, sie von ihrer Last zu befreien.
Consuelo sah ihn an. Sie wollte widersprechen, wollte ihm sagen, dass er sich täuschte. Doch es gab nichts mehr zu sagen. Es tat so wohl, dass Vincent auch nach allem was sie gesagt hatte, nicht das Böse in ihr sah.
XVIII
Der Sohn des Baumeisters
war nach der Tiefe gegangen und hatte ihre Geheimnisse entdeckt.
Es enthüllten sich ihm die Mysterien des Innersten und
die Wahrheiten der Weiten.
Es zeigte sich ihm, wie Gestein springt, was Wasser bindet, wo sich Feuer entfacht.
Der Luft aber konnte der Erdensohn nicht Herr werden.
Die Entdeckung hatte ihr die Entscheidung leicht gemacht. Als Nuuk den Zettel vor sich gesehen hatte, war eine Erkenntnis in ihr gekeimt. Während ihrer Recherche war diese gereift und nun wusste Nuuk, was sie zu tun hatte.
Sie ging mit nervösem Magen und in gelassenen Schritten ins Büro von Milo Musanthin.
„Ich möchte dich darüber in Kenntnis setzen, dass ich GreenPower im Sommer verlassen werde. Hier ist meine offizielle Kündigung“, sagte sie ruhig und reichte ihm das Papier, dessen Eingang bereits signiert war.
Milo sah sie perplex an und räusperte sich.
„Ich wollte es dir selbst sagen“, fügte sie befriedigt an.
„Darf ich fragen, was dich zu dem Schritt bewogen hat?“ fragte er.
„Fragen darfst du“, erwiderte Nuuk. Dann kehrte sie sich um und verliess sein Büro.
Sie hatte während sie ihren Schritt vorbereitet hatte, alle ihre Dokumente kopiert und nach Hause getragen. Sie besass nun selbst alle Erkenntnisse, die sie für GreenPower erarbeitet hatte. Sie unterstand zwar einer Auflage, diese während eines Jahres nicht für eine andere Organisation als GreenPower zu nutzen. Aber was bedeutete das schon, bei allem, was sie über Musanthin inzwischen wusste? Mit Siegmars Arbeitszeugnis war sie zudem auf dem Arbeitsmarkt ihrer Branche sehr beliebt. Aber vor ihrem inneren Auge reifte ein anderer Entschluss.
Nuuk stützte ihr Kinn in die Hand und dachte nach. Wie anders ihr Leben in den letzten Monaten geworden war. Das Harzige, ihre Ungeschicktheit, all das hatte sie abgestreift. Sie fühlte sich wie nach einer endlosen Metamorphose zu ihrer eigentlichen Persönlichkeit gereift. Die Dinge gelangen ihr besser, Männer waren netter zu ihr oder sie wählte besser. Wer wusste das schon. Nuuk war souveräner und fühlte sich mehr denn je als Herrin ihres Lebens und nicht mehr als eine Flipperkugel zwischen unvorhersehbaren Widrigkeiten.
Vor zwei Wochen hatte sie auf Milos Schreibtisch die Notiz ‚Transmar‘ und ‚Frisolé‘ gefunden. Das gab wenig her, aber es liess Nuuk aufhorchen. Es bestätigte ihren Verdacht, dass Milo gegenüber den Lieferanten einen seltsamen Weg wähl te. Sie hatte also über ‚Frisolé‘ geforscht, nachdem sie den Irrtum hatte beilegen können, es sei eine französische Nachspeise.
Offensichtlich aber handelte es sich dabei um eine schwer zu fassende und durchaus umstrittene Persönlichkeit, die für die Europäische Union in Brüssel tätig war. Frisolé war offensichtlich bei keinem Departement angestellt, arbeitete jedoch für viele. Sie war gewissermassen freischaffen beim Wirtschaftsdepartement. Nuuk erkannte keine Verbindung zu Transmar Import Export
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