Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Vincent weiter.
„Marcial weiss vom Tor zur Hölle und er weiss, dass ich damit verbunden bin“, sagte sie. „Er hat es immer gesehen, nicht wie alle anderen, die meinten, ich sei ein liebes Kind. Das bin ich nicht, ich habe schreckliche Dinge gesehen, ich habe furchtbare Dinge in mir und ich habe auch schlimme Dinge getan, irgendwie. Ganz schreckliche Sachen. Das weiss er alles. Aber er weiss auch, wie man es beendet. Was ich tun muss, dass es nicht so schlimm bleibt.“
„Was muss er denn tun, dass es nicht so schlimm bleibt?“ fragte Vincent, der gar nicht mehr wissen wollte, so sehr war er von ihren Ausführungen entsetzt.
„Ich weiss nicht. Es wurde nur besser, wenn ich –, hm weisst du, der Schmerz in meiner Seele hat nachgelassen, wenn etwas anderes Schlimmes vorgefallen ist, etwas in meinem Körper, etwas Schmerzhaftes“, sagte sie zögernd.
N un hatte sie die Schwelle überschritten. Nun hatte sie Vincent alles gesagt. Sie hatte ihm alle ihre Geheimnisse offengelegt. Sie sah in seine Augen und sah ihn bestürzt.
Ihr Herz sank bei dem Gedanken, dass er nun nicht mehr ihr Freund wäre. Dann wäre sie ganz allein. So unendlich allein.
„Consuelo, das sind die schrecklichen Dinge! Das ist das Furchtbare, dass er dich gequält hat, dich missbraucht und vergewaltigt! Das sind die schrecklichen Verbrechen! Nicht das, was du gesehen hast!“ rief Vincent endlich.
Das war eine ganz andere Reaktion, als sie erwartet hatte. Er hatte sich nicht von ihr abgewandt, er blickte auf eine ganz andere Sache, als was sie als ihre Last empfand. Consuelo staunte.
„Consuelo“, sprach er beschwörend weiter und setzte sich vor sie auf den Boden. „Das sind die Verbrechen. Ich bin sicher, du glaubst, du hast dieses, ich weiss nicht, wie du das meinst, Tor in dir. Aber das was du als schlimm beschreibst, das sind die Verbrechen von Marcial. Das hat nichts mit dir zu tun. Du bist ein liebes, gutes Menschenkind, glaub mir!“
Sie sah ihn an, als liege er so falsch wie noch nie in seinem Leben, als ginge er unendlich in die Irre. Zum ersten Male erahnte Vincent, was diese geheimnisvolle Aura des Mädchens war. Es war, neben allem, was sie sonst mit sich herumtrug, die unerschütterliche Überzeugung, die Abgründe der Hölle zu kennen. Er strich sich über die Stirn.
„Wirklich!“, beharrte er. „Hat Marcial dir eingeredet, du seist böse?“
„Er hat gesagt, er sieht, dass ich böse bin und er hat gesagt, dass er mich erlösen kann davon“, erklärte sie.
„Das hat er gesagt, um Macht über dich zu bekommen. Ich kann mir diese Sachen, die du beschreibst ja so völlig nicht vorstellen, aber sie scheinen einen inneren Zusammenhang zu haben, auch wenn sie mir grauenhaft altmodisch und mörderisch katholisch vorkommen. Ich habe keine Religion, verstehst du. Aber du weisst wohl, wovon du sprichst. Marcial hat dich aber nur ausgenutzt, glaub mir das. Er hat dir gesagt, du seist böse, damit du dich ihm anvertraust. Und weil deine Mutter wahrscheinlich zu blöd war, um das zu sehen, bist du ganz in seinen Bann gekommen. Consuelo, das ist furchtbarer Missbrauch! Dafür muss er bestraft werden, verstehst du?“ sprach Vincent auf sie ein und legte beide Hände auf ihre Schultern, weil sie ihn so zweifelnd ansah.
„Du weisst aber nichts davon“, beharrte sie leiser.
„Von was weiss ich denn nichts? Von körperlicher Gewalt? Von Angst machen, um jemanden gefügig zu halten? Doch, gerade davon weiss ich etwas“, erwiderte er hart. Er seufzte und frage weicher: „Was sind das für Dämonen, vor denen du Angst hast?“
Da erzählte ihm Consuelo von dem Dämon des eisigen Gelächters, von dem aufgetriebenen Monstrum der Lüste und Begierden, von dem Scheusal der Körperwunden und der Eitelkeit. Sie malte Bilder von der Lust an der Gewalt, von der Freude an Wehklagen, von den Genüssen der Henker und Schergen. Von den Verzerrungsdämonen der Rauschmittel und Drogen, von den Aasgeiern der Vermögen und den Sklaventreibern des Geldes…
Alle beschrieb sie wie in Bildern gemalt, so widerwärtig, so abscheulich ekelerregend, doch Consuelo hielt nicht ein. Sie erzählte, was Marcial sie alles hatte aus sich hervorziehen lassen, was sie ihm alles hatte schildern müssen. Als sie gleich einer Galerie die Dämonen beschrieben hatte, endete sie erschöpft. Es war zum ersten Male, dass sie jemandem ausser Marcial von Solcherlei erzählte, was die Totenseelen quälten und den Sektenpriester ergötze.
Unvermutet war ihr
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