Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
tausendfach verstärkt durch seine Wachsamkeit.
Er erreichte den unteren Treppenabsatz und lauschte. Wie oben stand er auch hier auf einem kahlen langen Gang, doch hier lag kein Teppich, sondern Linoleum, das unter den Sohlen seiner Schuhe quietschte. Als sich in der Stille nichts rührte und die Leuchtziffern seiner Uhr kaum drei Uhr dreissig zeigten, ging er weiter und öffnete vorsichtig die nächste Türe.
Vincent befand sich in einer Art Küche oder Speisekammer, ein vollgestopft und primitiv anmutender Raum, in dem es nach nicht zu frischen Lebensmitteln roch. Mit einem Nasenrümpfen schloss er die Tür und beim Klicken des Schlosses horchte er auf, denn es schien ihm, als habe er ein weiteres Geräusch gehört. Doch in der Stille war nichts zu erkennen.
Dennoch lief Vincent der Schweiss über den Rücken und rieselte erkühlt in den Bund seiner Hosen. Er atmete einmal langsam ein und aus. Dann ging er weiter. Er lauschte an einer Türe und vernahm das Sägen eines erfahrenen Schnarchers.
‚ Wenn das auch ein Frau ist, alle Achtung‘, dachte er bei sich und drückte leise die Klinke. Im milden Licht der Nacht aber erkannte Vincent von weitem den dunklen Schnurbart eines untersetzten Mannes. In zwei weiteren Betten schienen auch hier weitere Männer zu schlafen und Vincent gewann den Eindruck, in eine beliebte Schlafstatt, keinen Sektentempel eingedrungen zu sein. Er liess das Zimmer hinter sich und trat in den nächsten Raum. Dieser war ein Büro, denn es standen dort ein Schreibtisch mit Computer, Telefon und Faxgerät. Vincent schloss die Tür hinter sich und zündete seine Taschenlampe an. Während er die verschiedenen Stapel auf dem Tisch durchblätterte, schaltete er den Computer ein. Er blätterte die Körbe durch und fand eine Ablage von Korrespondenz und Buchführung, die ihn über den Kauf von Lebensmitteln und allgemeinen Unterhalt informierten. Da ihn das nicht weiterbrachte, durchsuchte Vincent die Festplatte des Computers nach Marcial, doch es war nichts zu finden. Dann durchkämmte er das Gerät nach einer Mitgliederliste, doch er fand nur eine veraltete Tabelle mit verjährten Beitritten. Consuelo war als anwesend im Hause eingetragen, das sprach für keine saubere Buchführung.
Schliesslich entdeckte er die Kontorechnung der Gemeinde der Flammenden Herzen. Die Ausgaben schwankten stark von Monat zu Monat, schlecht abgefangen von den schmalen Einnahmen aus Mitgliederspenden. Vereinzelt aber wurden Einzahlungen von Transmar vermerkt. Dies waren hohe Beträge und sie hielten die Kasse der Gemeinde am Leben. Als Vincent sah, in welchem Mass Marcial offensichtlich die Gemeinde finanzierte, kam er zum Schluss, dass es sich dabei um mehr als ein Steckenpferd handeln musste. Es war wohl eine Passion. Gewissermassen die Selbstverwirklichung eines Verbrechers, der seine Freude daran hatte, sich als Priester aufzuspielen. Vincent hängte die Liste zusammen mit den Mitgliedernamen einer elektronischen Nachricht an, die er an sich selbst und Luz als blinde Kopien sandte. Dann löschte er die versendete Nachricht auf der Maschine, hoffend dass niemand den Sendeverkehr überprüfen würde. Er schaltete den Computer wieder aus und legte die durchsuchten Blätter an ihren Platz.
Dann horchte Vincent nach dem Gang und als alles ruhig war, trat er hinaus und zu dem Treppenabsatz, der ins Untergeschoss führte. Consuelo hatte ihm angedeutet, dass der Raum der sakralen Handlungen dort unten war und ein Rest kalten Weihrauchs lag in der Luft.
Beherzt stieg Vincent in die schwarze Dunkelheit vor ihm und lauschte unten angestrengt. Es war und blieb ruhig. Langsam tastete er nach einem Lichtschalter, bis er einen altmodischen Drehschalter fand und anzündete. Gelbes trostloses Licht erhellte einen düsteren Vorraum, der am gegenüberliegenden Ende zu einer schlichten Holztür führte. Vincent trat auf die Tür zu, lauschte, öffnete und ging hinein. Es war ein grosser, heller Raum und hier war der Geruch nach Weihrauch und anderen schweren Dämpfen am stärksten. Rückwärts trat er auf den kleinen Gang hinaus, löschte das Licht und betrat den Kultraum.
Er stand im Allerheiligsten der Gemeinde der Flammenden Herzen. Die Wände waren mit hellen Stoffen verkleidet, eine Art Altar, ein quadratischer Tisch, stand auf einer erhöhten Stufe in der Mitte. An den Wänden hingen bunte blutige Bilder von Heiligen, dem Erlöser mit blutendem Herzen und der Mutter Gottes. Vincent kamen sie vage vertraut vor, doch es
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