Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Organisation anzuzeigen, wenn ich dich mit in die Hauptstadt nehme. Verstehst du? Genauso, wie es illegal ist, dass dieser Mann dir nicht helfen will und vor allem, mit dir zu schlafen, wenn du so jung bist. Es sei denn, er wäre selbst dreizehn. Ist er das?“ fragte er und schlug einen bestimmten Ton an, um ihr die Tatsachen deutlicher zu machen.
Nun aber brach die kleine Consuelo in Tränen aus, das Wasser sprudelte nur so aus ihren Augen, ihre Nase lief und sie schniefte und schluchzte zum Stein erweichen. Vincent stützte die Stirn in die Hände und wünschte sich, sie sei trotzig. Damit konnte er besser umgehen. Als sie sich aber auch nach einigen Minuten nicht beruhigen konnte, sondern wie ein Wasserwerk vor ihm sass, ohne Taschentuch und ohne Trost, setzte er sich schliesslich neben sie auf die Bank und legte den Arm um den schmalen bebenden Rücken und streichelte ihren dünnen Arm.
„Ist ja gut, wir werden eine Lösung für dich finden, ist ja gut“, sagte er leise und hoffte, die kleine Consuelo beruhigen, beziehungsweise stilllegen zu können.
Weit gefehlt, denn nun schlang sie die Arme um seinen Hals und schluchzte an einer Schulter, seine Kleidung allmählich durchnässend. Vincent war am Ende seines Lateins. Was sollte er mit dem weinenden, schwangeren Kind tun? Wie sollte er ihr helfen, ohne sich selbst strafbar zu machen? Wer konnte denn der Vater sein, wenn er um jeden Preis anonym bleiben wollte? In ihm regte sich ein Groll gegen jenen Mann, schon allein weil er Consuelo in diese Lage gebracht hatte.
Als er vorsichtig versuchte, das Mädchen von sich zu lösen, klammerte sie sich umso fester an ihn.
„Wo sind denn deine Eltern, Consuelo?“ fragte er wieder.
Sie murmelte zwischen neuerlichen Schluchzern etwas von „nicht erfahren“. Nun schob er sie von sich und sagte, den Blick gerade in die verwässerten Augen gerichtet: „Kein Arzt wird das für dich tun können, ohne das Einverständnis deiner Eltern.“
„Dann können Sie mir auch nicht helfen!“ schrie sie auf und riss sich los, um zur Tür zu stürmen.
„Halt, bleib hier!“ rief Vincent und hielt mit der Hand die Tür zu. „Und hör endlich auf mit dem Sie.“
„DU kannst mir dann eben nicht helfen!“ rief Consuelo heftig. Es war ihm lieber, immerhin besser als das Wasserwerk.
Vincent lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, legte den Kopf an das Holz und verschränkt die Arme. Er dachte angestrengt nach und Recht und Unrecht, Menschenfreundlichkeit und Grausamkeit verschoben sich vor seinem inneren Auge. Gezählt, gerichtet, abgewogen und zu leicht befunden. Was war denn gut, was war schlecht? Was war im Sinne seiner Organisation und was im Sinne dieses Mädchens, das da vor ihm stand und nach seiner Vermutung kaum vierzig Kilo wog? Was war hier richtig zu tun? Gab es eine richtige Entscheidung?
Consuelo stand vor ihm und betrachtete ihn aufmerksam. Sie spürte, wusste ganz einfach, dass in ihm etwas geschah, dass sich in ihm eine Tür, die immer verschlossen gewesen war, einen winzigen Spalt öffnete. Sie sah es an seinem Gesicht, dass hier im Leben dieses Mannes eine Wendung eintrat. Sie wusste, dass sie gesiegt hatte. Consuelos erwachsender Sinn hatte in diesem Augenblick etwas über die Macht der Tränen über Männer gelernt. Sie hatte ihre letzte Karte noch nicht ausgespielt.
Als Vincent seinen hellen Blick wieder auf das Mädchen richtete, war die unendliche Verzweiflung verschwunden und sie sah ihn an wie ein Dompteur das Tier im Käfig. Doch unmittelbar senkte sie die Lider und er vergass es.
Als er sich vor der Tür in die Hocke sinken liess, trat Consuelo auf ihn zu und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen ihm gegenüber.
„Hör zu, du bringst uns in grosse rechtliche Schwierigkeiten, wenn deine Eltern ihr Einverständnis nicht geben“, betonte er.
„Wenn ich zu der Frau hier gehe, die es auch macht, dann sagt sie auch nichts und ich sage nichts“, erklärte Consuelo.
Vincent sah sie entgeistert an. „Wie bitte?“
„Es sterben dann immer viele, wenn sie das macht, sie trifft manchmal was Falsches“, sagte sie versonnen. Sie sah in Vincents Augen, die hell waren, viel heller als ihre eigenen, sie waren von einem Grau wie der Himmel, kurz bevor das Gewitter beginnt. Wie kleine Blitze lagen weisse Sprenkel um seine Iris.
„Du hast weisse Blitze in den Augen!“ rief sie.
„Wie?!“
„Doch doch, schau nur mal in den Spiegel!“
„Consuelo, können wir bei dem Thema bleiben! Du kennst
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