Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
ein weiteres Wort und Vincent sah sich um, als er auf das nächstgelegene Gebäude zuging. Es war ein einstöckiger einfacher Bau, vor einiger Zeit geweisselt, aber mit einem richtigen Dach, keine Verbindung von Planen und Platten. Vorräte und Abfälle standen aneinander gemengt und ein paar Ziegen waren an einen Eisenstab gebunden. Als sie um das Haus mit seinen Schuppen und Ställen herumgingen, fanden sie verschiedene Leute im Schatten beim Essen.
Der Hausherr stand auf und kam auf die beiden zu, nachdem er beiläufig ein Gewehr auf die Schulter hob. Misstrauen und Freundlichkeit wechselten auf seinem Gesicht.
„Haben Sie sich verirrt?“ fragte er in Spanisch, seinen Blick auf Vincent richtend, während er mit einer Hand den Kolben des urtümlichen Jagdgewehrs streichelte.
„Nein“, erwiderte dieser und nahm die Sonnenbrille ab.
Luz sprach den Mann in Guarani an und ihre Stimme nahm einen weichen Klang an. Vincent entsann sich mit Sicherheit, noch nie in den Genuss dieses milden Timbres gekommen zu sein. Er zog die Stirn kraus.
Der Bauer nickte und lud beide ein, sich zu ihnen zu setzen. Vincent sah aus dem Augenwinkel nach dem ungesicherten Gewehr, das der Bauer an die Lehne seines Stuhls gestützt hatte. Er nötigte die unverhofften Gäste zu essen und zu trinken, so dass in Vincent angesichts des Wasserkruges und der Bohnensuppe der dankbare Gedanke an seine Hepatitis Impfung aufstieg. Es wäre wohl nicht produktiv für seine Forschung, das Angebot abzulehnen, so trank er vom Brunnenwasser und ass von den Bohnen in einer dicken, würzigen Sauce.
Luz stellte eine Reihe von Fragen und die Leute antworteten erst zögerlich und wurden dann gesprächiger. Vincent verstand kaum Bruchteile, denn Guarani entzog sich zu sehr seiner Kenntnis, als dass er dem Gespräch hätte folgen können. Er würde auf Luz und ihre Mitteilsamkeit vertrauen müssen. Während er den fremden Silben lauschte, blickte er in die kontrastreiche Landschaft. Es hatte schon einige Tage nicht mehr geregnet, so dass der Grund bei jedem Luftzug aufstob. Der Anschein der Trockenheit löste sich aber angesichts der grünen Bäume und Büsche, das Gras war satt und stand dicht. Er verstand nicht viel von Landwirtschaft, aber war es möglich, dass dieses Land zu wenig produzierte, um alle zu versorgen?
Nachdem die unerwarteten Gäste gesättigt waren, teilte der Bauer mit, dass sie nun wieder an die Arbeit müssten. Sie sollten aber jederzeit zurückkommen, wenn sie mit ihnen würden speisen oder plaudern wollen, schloss er auf Spanisch an. Sie dankten herzlich und verabschiedeten sich, um zum Wagen zurück zu kehren.
„Du bist ja richtig gesprächig, wenn du nicht mit mir reden musst“, meinte Vincent anzüglich, als sie einstiegen.
Luz aber hatte die dichten dicken Brauen so stark zusammengezogen, dass ihr Blick einem Zensurstreifen glich.
„Was hat der Mann denn erzählt?“ fragte er harmlos.
„Er hat gesagt, dass sie immer nach Asunción liefern, einfach nicht mehr nach La Chacarita“, sagte Luz und Schweigen kehrte ein.
„Und um das heraus zu finden hast du fast eine Stunde gebraucht?“ fragte Vincent provozierend.
„Solang du mich brauchst, um zu Übersetzen, musst du dich auch damit abfinden, wie ich frage. Immerhin ist es mein freier Tag und ich muss ihn mit dir verbringen!“ hielt sie dagegen.
„Danke, ist auch mein freier Tag und ich muss ihn mit dir verbringen“, brummte Vincent nur.
Als sie sich nach langem Schweigen der Landstrasse näherten, wies Luz die Richtung weiter gegen Süden an. Vincent lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze des Sitzes und bereute den Ausflug.
„Vielleicht sollte ich dir Zuckerrohrschnaps mit Cola anbieten?“ fragte er unvermittelt.
„Warum? Jetzt?!“
„Von mir aus, wenn es hilft “, meinte er.
„Ich wäre echt lieber daheim geblieben!“ sagte sie darauf heftig.
„Warum bist du eigentlich so ein Biest? Liegt das in der Familie? Oder der Erziehung? Kannst du nicht ohne Aggression gegen irgendwen sein?“ fragte er.
„Ich bin nicht aggressiv. Immerhin komme ich nicht auf der Strasse in eine Schlägerei und schimpfe mich Teil eines verdammten Hilfswerks“, erwiderte Luz mit starrem Blick auf die Landstrasse.
„Na schön, lassen wir es dabei. Was hat er denn sonst noch erzählt?“ lenkte er ein.
„Er hat gesagt, bei welchen Adressen wir weiterfragen sollen“, erklärte sie und zählte die Landarbeiter auf, die für Grossgrundbesitzer tätig waren und unter
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