Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
jemanden, der illegale Abtreibungen vornimmt?“ rief er rau.
„Ja“, sagte sie.
„Woher?! Lernt man dir das in der Schule?“
„Naja, nein“, sagte sie kichernd und schüttelte den Kopf.
Vincent entschied sich für das Risiko. Dies könnte das Ende seiner Karriere sein, ein irreversibler Knick in seinem Leben, aber er hatte sich entschieden, anderen beizustehen. Sollte es kommen, wie es musste.
„Gut, wenn dich deine Eltern während einer Woche oder zehn Tagen nicht vermissen werden, nehme ich dich heute Abend mit nach Asunción, bringe dich zum Arzt und dann sehe ich, wie ich die Rechnung irgendwie unterbringe.“ Vincent schüttelte den Kopf. War er von Sinnen? „Du weisst, dass wenn du mir jetzt irgendeinen Mist erzählt hast, wenn deine Eltern dein Verschwinden der Polizei melden oder so, dass du mich dann in die grössten Schwierigkeiten bringst?“
Sie nickte und sagte mit einem treuherzigen Blick nach oben: „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!“
„Hm. Dann sei heute Abend um halb acht Uhr bei der Tankstelle, hier gleich um die Ecke. Weisst du wo? Dort werde ich dich auflesen.“
Consuelo neigte den Kopf, dann sah sie ihn inständig an und sagte „Danke“.
Vincent nickte und machte sich an die Arbeit. Dunkel zog an seinem Bewusstsein die Erkenntnis vorbei, dass er sich in den letzten Wochen einer Kette von Regelbrüchen schuldig machte und sich darin sogar steigerte. War er deshalb aber auf der Seite des Unrechts?
IV
Ist nicht jede Lust im Schmerz nur bittre Angst vorm Glücklichsein?
Consuelos Gesellschaft war nicht eben unterhaltsam, sie sah schweigend aus dem Fenster oder spielte am Radio und als Mitternacht vorbei war, meldete sie an, sie habe Hunger. Deshalb leerte sie, in seiner Wohnung in Asunción angekommen, seinen Kühlschrank flächendeckend. Vincent fragte sich, wann sie zum letzten Mal gegessen habe. Seiner Vermutung nach war sie weder ein Strassenkind, noch eine Prostituierte. Sie war zu gepflegt, ihr Haar war sauber geschnitten, ihre Kleidung ordentlich und brav und ihr Teint zeugte von guter Ernährung und geregelter Körperpflege. Was hatte es nur mit ihr auf sich? Von wem mochte sie schwanger sein?
Während sie sich über den z weiten Gang Rührei mit Schinken, Käse und Brot hermachte, richtete er auf dem Sofa einen Schlafplatz für sie. Am Fussende stand ein Sack mit Consuelos Habseligkeiten, eine knallfarbige Explosion aus Knautschkunstleder mit Metallic-Schein. Ein Kontrast zu ihrem schwarzen schmucklosen Shirt und den einfachen Jeans.
„Schlaf gut“, sagte er, als sie aus der Küche eintrat und begab sich in sein Schlafzimmer. Er war müde wie ein Murmeltier im Herbst und freute sich auf die fünf kurzen Stündchen des Schlafes, die er nun für sich beanspruchen konnte.
Consuelo sah auf die geschlossene Tür zu Vincents Schlafzimmer und wartete ein Weilchen. Dann zog sie sich aus und legte sich auf das Sofa. Ein paar Augenblicke tauchte jemand in ihrem Bewusstsein auf, der sie zu Dingen überredet, sie um Dinge gebeten, sie so sehr verändert hatte.
Dann wandte sie sich zur Seite und schlief ein, zusammengerollt wie ein Ungeborenes im näh renden Leib seiner Mutter ruht.
Vincent hatte drei Adressen von Ärzten. Er entschied sich für den ersten Namen nach dem Alphabet und fragte, als er den Herrn am Telefon hatte, ob dieser einem Mädchen von der Mutterschaft abhelfen könne, immer unter Wahrung von deren Anonymität. Der Mediziner stellte ein paar Fragen und Vincent verabschiedete sich bald ohne Ergebnis. Beim zweiten Namen hatte er mehr Glück. Nachdem er vergeblich den Irrtum abgewiesen hatte, dass er selbst der Vater des Ungeborenen sei, vereinbarten sie einen Termin nachts um elf Uhr in der Praxis. Es würde sonst niemand zugegen sein.
Als Vincent Consuelo zur Praxis brachte, schien sie erstaunlich gelassen. Er überliess das Mädchen dem Arzt und setzte sich in den kargen Warteraum. Nach etwa einer Stunde kam sie aus dem Klinikzimmer, schwankend und weiss. Sie starrte mit weitaufgerissenen Augen in die Leere. Vincent sah zu dem Arzt, doch der hielt den Blick gesenkt und räumte eine flache Metallschüssel weg.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte er den Mann im weissen Kittel, der nickte nur, wandte sich aber nicht um. Vincent legte den vereinbarten Geldbetrag auf den hohen Tisch am Empfang und stützte Consuelo, als sie neben ihm die Praxis verliess. Sie strauchelte fast und schliesslich hob er sie auf die Arme, denn sie
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