Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
miserablen Bedingungen in schlechten Unterkünften hausten. Er hatte auch von Investoren aus Brasilien und viel weiter weg gesprochen. Wie weit weg hatte er aber nicht sagen können, denn er kannte Übersee nur als Übersee, wusste aber nicht, wie die Länder dort hiessen. Vincent konnte sich wohl denken, dass Übersee alles ausserhalb von Lateinamerika umfasste.
Nach einigen Meilen erreichten sie eine Ansammlung von Hütten aus Wellblech und Planen, bei der nur ein magerer verlauster Köter und zwei kleine Kinder weilten. Als Luz aber von diesen zu erfahren suchte, wann jemand zurückkehren würde, trat eine Frau hervor. Luz widerholte ihre Frage und die Frau blickte unsicher über die Schultern. Auf neuerliches Nachfragen hin sagte sie abgerissen ein paar Sätze und schob die beiden dann geradezu zum Wagen zurück.
„Sie sagt, wenn sie die Leute sehen, wie sie uns Fragen beantwortet, bekommt ihre Familie Schwierigkeiten. Die Situation sei schlimm genug, sie wollen nicht mit dem Herrn Probleme bekommen“, erklärte Luz dann.
Der Herr war der Grossgrundbesitzer, beziehungsweise die Paramiliz, die er zur Sicherung seiner Gehöfte vor illegalen Landbesetzungen einsetzte. Von Alters her zogen viele landlose Arbeiter durch die Gegend, die nirgends eine Existenz aufbauen konnten. Sie besetzten immer wieder abgelegene Gehöfte, bauten Hütten, bestellten die Felder und verkauften den überschüssigen Ertrag. Da das Land aber Grossgrundbesitzern gehörte, wurden sie regelmässig vertrieben, wobei alle ihre Habe, welche sie sich aufgebaut hatten, von der Polizei oder den privaten Sicherheitsleuten geplündert wurde. So zogen sie weiter und der Vorgang wiederholte sich. Dagegen lebten die Angestellten der Grossgrundbesitzer in relativer Sicherheit, denn sie hatten ein mageres, doch geregeltes Auskommen. Die herrschende Problematik hatte die Diktatur, die fast zwanzigjährige Demokratie als patriarchales System überdauert. Für wen sich diese Machtverteilung lohnte, dem lag auch daran, sie aufrecht zu erhalten.
Jedoch waren es nicht nur alteingesessene Familien, die die herrschenden Strukturen für sich zu nutzen wussten, sondern ebenso allerlei fremde Investoren, welche das soziale Ungleichgewicht und die Schutzlosigkeit der landlosen Bevölkerung für sich zu funktionalisieren wussten.
Während Luz nachdrücklich, doch diplomatisch Fragen stellte und das unvereinte Paar immer tiefer ins Landesinnere zog, hörten sie wiederholt die Worte „seitdem wir Soja pflanzen“ und ein daran geknüpftes Elend. Als Vincent fragen liess, wem denn das Land gehöre, auf dem sie sich befanden, so gaben die Bauern an, sie wüssten es nicht oder sie zogen es rundweg vor, zu schweigen. In den seltenen Fällen, da sie eine eigenständige, jeweils bewaffnete Familie auf einem kleinen Hof antrafen, wiesen diese zwar einen gewissen Stolz auf ihren Besitz aus, sprachen aber nicht darüber, mit wem sie handelten.
Beim Passieren grosser Villen verweigerte Luz jede Kontaktsuche, denn diese seien von Sicherheitsfirmen mit teils scharfen Hunden oder dem Militär bewacht und mit denen wolle sie unter keinen Umständen zu tun haben.
Schliesslich neigte sich die Sonne dem Horizont zu und Vincent erklärte sich bereit zurückzukehren. Schweigend fuhren sie über die staubige Landstrasse nach Asunción, während beide ihren Gedanken nachhingen. Vincent versuchte, sich ein Bild zu machen. Es war eine Veränderung im Land zu spüren, es war offensichtlich, dass sich die Strukturen änderten, doch er wusste nicht, in welcher Weise, er konnte nicht fassen, was vor seinen Augen geschah. Luz, die erstaunlich bereitwillig, angesichts ihrer sperrigen Art, den ganzen Tag gefragt und geforscht hatte, schwieg nun beharrlich. Wer hatte ein Interesse, den Armenvierteln die Existenzgrundlage zu entziehen? Die Leute hier assen traditionell Mais und Bohnen, für Soja hatten sie keine Rezepte, warum also wurde Soja gepflanzt?
„Gibt es in La Chacarita eigentlich viel Soja zu kaufen?“ fragte er unvermittelt.
Luz runzelte die Brauen und schüttelte den Kopf. „Nein, es gibt einfach, was man so kennt“, meinte sie dann.
Vincent blickte wieder auf die Landstrasse nach Norden, wo sich ein schwarzgraues Gewitter zusammenbraute.
„Wohin geht denn dann der ganze Soja, wenn nicht nach Asunción?“ fragte er weiter.
Aber Luz liess die Frage unbeantwortet.
Bei ihrer Rückkehr nach Asunción bestand Vincent darauf, Consuelo zu treffen und sich ihrer
Weitere Kostenlose Bücher