Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
während sie sich tief in das Polster duckte und stumm über die gebogenen Scheibenwischer auf die Strasse sah.
In einem schmuddeligen Imbiss ass Vincent ein schlecht gewürztes ranziges Brötchen mit erstaunlichem Genuss und trank regenfaden Kaffee dazu, während Consuelo zwei Maisbrötchen knabberte. Vincent bestand darauf, im Waisenhaus vorbeizusehen, da er nun einmal in Concepcion sei und ignorierte Consuelos Insistieren mit der Begründung, er könne sie schliesslich vor nichts schützen, dessen Identität sie ihm verheimliche. Schmollend verstummte sie und verbarg sich zusammengerollt unter seiner Jacke, während er ins Waisenhaus ging.
Es war dort eben Frühstückszeit und da er unangemeldet erschienen war, begegneten ihm die Mitarbeiter mit Erstaunen und etwas Misstrauen. Die baulichen Veränderungen waren zu seiner Zufriedenheit, er hatte nur geringfügig etwas auszusetzen. Die Küche aber war unordentlicher, als es seinem Appetit bekommen wäre und er fragte eindringlich nach der Putzordnung. Dann bat er darum, die abschliessende Abrechnung für den Umbau zu sehen und erkundigte sich, ob die Kopie schon beim Hilfswerk eingegangen sei, denn er konnte sich dessen nicht entsinnen. Damit aber liess er es bewenden, um einen wertvollen Frieden nicht zu stören und kehrte nach dem Wagen zurück, wo Consuelo sich zusammengeknäult hatte und über den Kragen seiner Jacke hervor spähte. Es war zum Steinerweichen.
„Fahren wir“, sagte er und setzte die Sonnenbrille auf.
Nach einem Stück Weg es begann er sie zu fragen, was denn vorgefallen sei und warum sie habe flüchten müssen und sie schwieg so beharrlich, bis er sich ernstlich ärgerte und am Strassenrand anhielt.
„Warum hältst du an, das tut hier niemand, es gibt Banditen und Wegelagerer hier“, sagte sie.
„Weisst du, in welche Schwierigkeiten du mich bringst, wenn du mir nicht sagst, warum ich dich aus Concepcion wegbringen muss? Verstehst du?“ sagte er nachdrücklich. „Das ist vor dem Gesetz Kindesentführung und das macht sich schlecht in meiner Akte. Ganz zu schweigen davon, was für Verdächtigungen ich sonst noch so auf mich ziehe…“.
„Was denn für Verdächtigungen?“
„Nun, ich weiss nicht, ob ich mich selbst nicht im Verdacht für Kindesmissbrauch hätte. Ich meine, als Aussenstehender. Ich habe dir immerhin einen heimlichen, illegalen Abort verschafft“, sagte Vincent langsam und ihm wurde übel bei dem Gedanken.
„Du?!“ fragte Consuelo und eine seltsame Überlegenheit lag in ihrem Blick. „Ich bin gar nicht so sehr ein Kind wie du immer sagst“, schloss sie dann leise an.
„Erspar mir bitte die ich-bin-ja-so-erwachsen-und-weiss-alles-über-die-Welt-Tirade und sag mir was los ist“, sagte er, gegen die Tür des Wagens gelehnt und blickte sie eindringlich an.
„Kann ich nicht einfach nur zu dir kommen oder zu Luz?“ fragte sie weinerlich.
„Nicht bevor du mir nicht mitgeteilt hast, was vorgefallen ist“, beharrte er und gähnte.
Consuelo blickte auf den Staub auf der Scheibe, wie geronnen aus dem Regen des Vortages. Wie Ausfall, wie Resten, wie ein elender Zeuge von vormaligem Nass.
„Meine Mutter ist einer Sekte beigetreten“, sagte sie endlich. Sie sprach leise und setzte jeden Laut präzise, als meissle sie ihn in Stein. „Das war, weil Papa uns verlassen hat. Mama betet seither nur noch. Immer. Ständig. Etwas anderes bedeutet ihr nichts. Sie glaubt der Sekte alles. Alles. Und die dort, diese Sekte, die haben gesagt, ich sei gefährlich. Sie sagen, ich bin böse, aber dann irgendwie doch nicht. Sie wollen, dass ich dort bin und für sie da bin. Aber sie sagen auch, dass ich das Tor zum Teufel bin. Aber sie fragen nach dem, was manchmal aus mir kommt. Weisst du, Stimmen.“
Sie brach ab und blickte in den geronnenen Staub und dachte an Schmutz und fruchtbare Erde und wo denn der Unterschied läge zwischen diesen beiden. Ob es einen Unterschied gab oder ob es immer dasselbe war und nur die Menschen nicht sahen, wo dessen Wert denn lag. Schliesslich, als das Schweigen anhielt, sah sie zu Vincent und sein Blick war Entsetzen und Unglauben und dann erkannte sie Wut hinter seinen Augen, die von der Farbe des Gewitters waren und sie erschrak.
„Ist das wahr?“ fragte er langsam.
„Ja, ist es.“
„Sie sagen, du bist gefährlich?“ fragte er weiter.
„Ja. Du weisst schon, Exorzismus und so“, erklärte sie.
Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und sie erschrak, zuckte zusammen und blieb
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