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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthea Bischof
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hielt. Das war das Angesicht der Realität.
    Vincents ahnte, dass drei Toilettenbesuche etwa einen Tag ausmachten und dass er mit einem Rückblick auf etwa siebzehn Toilettenbesuche ungefähr sechs Tage in diesem Raum zugebracht hatte.
    Es war ihm bis anhin nicht bewusst gewesen, wie ihn die Enge eines Raumes bedängen konnte. Solche Psychosen waren etwas für Spinner und Ausgeflippte. Nun aber erkannte er, wie nah seine eigene Psyche dem Spinnen und Ausgeflipptsein stand. E s war ihm nicht mehr fern, seinen Verstand zu verlieren. Er hielt sich an seine Gedanken, da sie das einzig Sichere waren, alles andere verlief in Unregelmässigkeit. Doch er fühlte sie zusehends dahinschwinden, fühlte seiner Gedankenklarheit sich verflüchtigen in der Masse von Hoffnungslosigkeit, die ihn überrollte wie eine Sturmflut und ihm nichts mehr liess.
    Einsamkeit. Sie wird vollkommen, wenn andere das Sprechen, den Blick dem Häftling verweigern. Wenn kein Menschliches mehr zum Einsamen dringt, dann ist er vollkommen allein. Dann bleibt ihm nichts, dann ist leer das Feld um ihn her und die Bedeutung seiner selbst ist hinfällig geworden. Es ist nicht die Stille, die dem Ohr seines Lauschens Freude nimmt, es ist die Verweigerung des Wortes, die taub und leer ihn macht. Kein lieber Blick aus einem menschenguten Auge, das lässt die Haut erblassen, den Blick sich verdumpfen und den Mund sich schliessen.
    Einsamkeit ist zu überdauern, wenn noch die Natur ihm bleibt, dem Alleinigen. Wenn noch der Wind zu ihm spricht und das Erdreich zu ihm blickt. Doch im Grau der sonnenlosen Zelle ist nichts, was seiner Verlassenheit gedenkt.
    Verachtung liegt in dem Zurückweisen jeden Sprechens, dem lieblosen Bringen des Essens, dem blicklosen Führen durch die kahlen Gänge, all das ist getragen von der Herabsetzung gegen den Alleinverbliebenen. Doch so bitter die Einsamkeit ist, so kalt die Verachtung ihn trifft, er kann dem doch nicht entfliehen, er kann nicht fort. So einsam er ist, der Bewachung entkommt er nicht. Die Einsamkeit, sie ist so schrecklich perfide. Sie ist so feindlich dem Menschen, so nichtend der Seele, so hassend dem Herzen. Denn die Einsamkeit des Gefangenen liegt in seiner Eingeschlossenheit, die andere bewachen. Sie sind immer da, sie wachen über seine Einsamkeit, sie bewachen sie eifrig. Doch sie lassen ihn verachtend allein, sie verweigern weiter jede s Wort.
    Er ist verloren, wo doch ein ganzes von Menschen schwirrendes Gebäude um  ihn ist und ihn fernhält allem Menschlichen.
    Doch er dachte nicht in Klarheit über sein Eingeschlossensein. Er war damit beschäftigt zu überleben.
     
     
    Vincent fühlte sich zerrüttet, als er Ruiz nach Ablauf einer Woche wieder traf. In der steten Eintönigkeit hatte er seinen guten Schlaf verloren, zumal in dem kargen Verhörraum nur eine Matte eine Wolldecke vorhanden waren. Seine Glieder schmerzten und ihm fehlte Bewegung. Mehr als das aber fehlte ihm Körperpflege und über die Tage hatte ein Vollbart sein Gesicht belegt.
    „Haben Sie sich entschieden, mit uns zu reden?“ fragte Ruiz.
    „Ich habe ein Recht, mit meiner Botschaft zu sprechen“, erwiderte Vincent anteilslos, als rede ein Geist aus seinem Mund.
    Ruiz schnaubte und sagte: „Meinetwegen.“
    Vincent runzelte die Stirn.
    „Folgen Sie mir bitte“, sagte der Polizist hinter ihm und Vincent erhob sich und folgte diesem mit schlurfenden Schritten. Sie gingen durch eine Folge langer Gänge, bis sie schliesslich zu einem grossen Raum gelangten, in dessen Mitte eine lange Reihe Tische standen. Dünne Wände unterteilten kleine Anschnitte und ein durchgehendes Gitter trennte den Besuchsraum vom Bereich der Häftlinge. Der Polizist schob Vincent an einen Platz, gegenüber welchem sich ein von Blutarmut gezeichneter Herr halb erhob.
    „Guten Abend Herr Thal“, sagte dieser zu Vincent in Schweizerdeutsch.
    Vincent starrte ihn nur an, so ungewohnt war ihm der Dialekt.
    „Bei uns auf der Botschaft ist ein anonymer Anruf eingegangen, dass Sie hier einsitzen, ohne jede vernünftige Begründung. Darf ich fragen, warum man Sie hierher gebracht hat?“ fragte der blutarme Mann.
    „Ich habe beim Internationalen Roten Ring gearbeitet“, erwiderte Vincent mechanisch. Ein anonymer Anruf an die Botschaft? Das konnte nur Consuelo gewesen sein. Wie sie an die Nummer gekommen sein mochte?
    „Sie sind in zweifellos schrecklicher Verfassung. Hat man Ihnen etwas getan?“ fragte der andere.
    „Ich war eine Woche in einem winzigen

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