Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Niederlassung des Internationalen Roten Rings an. Er wollte vereinbaren, wann er seine Sachen in der Geschäftsstelle abholen konnte. Doch das war nur ein Vorwand. Viel brennender interessierte ihn, weshalb sich niemand während seiner Gefangenschaft nach ihm erkundigt hatte. Dafür wünschte er eine Erklärung. Es klingelte sechs Mal, dann wurde er auf Curdins Anrufbeantworter weitergeleitet.
„Feiges Schwein“, sagte Vincent leise, als er den Höher auflegte.
„Dann lasse ich Sie nun am besten in Ihre Wohnung bringen“, sagte Herr Meister ohne auf die Bemerkung einzugehen.
Vincent dachte sehnsüchtig an seine Wohnung und seine Dusche und nahm dankend an.
Eine Überraschung erwartete ihn, denn die Türe war nur angelehnt und das Schloss aufgebrochen. Vincent schob die lädierte Türe auf und trat in seine Wohnung. Die Möbel waren umgestürzt, was zu leeren war, war ausgeleert, Schlafzimmer, Küche, Bad, alles war durchwühlt worden und seine Habe lag auf dem Boden verstreut, wo noch staubige Tritte von der groben Durchsuchung zeugten. Vincent war als träfe ihn ein dumpfer Schlag. Jedes Gefühl von Sicherheit fiel von ihm ab und er liess sich auf die Sprungfedern seines abgedeckten Sofas fallen. Wer hatte seine Wohnung durchsucht? Gehörte das zur Standardprozedur der Polizei?
Er legte den Kopf in die Hände und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er vertraut hatte, dass einem unbescholtenen Menschen nichts zustossen konnte. Doch nun sah er ein, dass er mit der Unbescholtenheit auch die damit verbundene Sicherheit hinter sich gelassen hatte. Der Einsatz wog den Gewinn nur geringfügig auf.
Vincent gab sich einen Ruck und schob einen schweren Sessel vor die Türe, so dass sie zum Behelf geschlossen war. Dann begab er sich in die Dusche und während das Wasser über ihn rieselte und die Seife in Bläschen von ihm perlte, wurde ihm wieder wohler. Er hatte abgenommen und mit dem struppigen Bart sah er aus wie ein streunender Wolf. Er stöhnte leise und rasierte sich gründlich. Endlich fühlte er sich wieder als Mensch, doch noch immer rang er um den Überblick über sein in Scherben liegendes Leben. Schliesslich rief er seine Familie daheim an und erzählte seinem Vater von den Vorfällen und seiner baldigen Rückkehr. Der alte Herr Thal war bestürzt über die Entwicklungen und überschüttete Vincent mit Ermahnungen und Besorgnis. Wie es denn nun mit ihm weiter gehen sollte? Wäre er nicht überhaupt besser daheim geblieben? Was war ihm nur eingefallen, sich derart hineinziehen zu lassen?
Nach wenigen Minuten verabschiedete sich Vincent und starrte aus dem Fenster. Draussen war dunkle Nacht und in der Stille versteckte sich der Dschungel von Asunción mit allen seinen verstörenden Geheimnissen. Es war ihm die Stadt fremd und die Frage seines Vaters, wie er sich nur so tief hatte hineinziehen lassen können, kam ihm zum selben Zeitpunkt plausibel und kleinlich vor.
Schliesslich liessen ihm Hunger und Durst keine Ruhe mehr. Doch die Vorräte aus seiner Küche waren verdorben oder zertreten. So verliess er schliesslich mit gemischten Gefühlen seine unverschlossene Wohnung und kaufte sich eine Mahlzeit sowie etwas Essen für den kommenden Tag. Wie in einem zu schnellen Film spielten sich die Ereignisse vor seinem inneren Auge ab und es war ihm, als entglitt ihm die Einschätzung seiner Situation. Er setzte sich mit dem Bohneneintopf in Mitten des Chaos‘ nieder und begann gierig zu essen. Die einfache Mahlzeit schmeckte ihm ungemein gut und er machte sich über die Vorräte für den folgenden Tag her, als das Telefon läutete.
„Hallo?“ fragte er misstrauisch, den letzten Bissen eben verschluckend.
„Vincent?“ erwiderte die Stimme am anderen Ende. Es war Luz. Ihre Stimme, die Tatsache, dass sie anrief, überfiel ihn wie eine grandiose Wohltat und zum ersten Mal seit mehr als einer Woche war ihm wieder wie einem Menschen zu Mute.
„Abend Luz“, sagte er deshalb ungewöhnlich milde.
„Geht es dir gut?“ fragte sie weiter.
„Nicht besonders. Meine Wohnung wurde durchwühlt und es sieht grauenhaft aus. Ah ja, und ich muss Paraguay verlassen. Weil das Hilfswerk mich unehrenhaft entlassen hat“, erklärte er.
„Nennen die das wirklich so? Unehrenhaft?“ fragte Luz weiter.
„Naja, Curdin nennt es so, und der hat mich rausgeworfen“, erklärte er.
„Der spinnt doch?!“ rief sie.
„Danke“, erwiderte er, „du hast vielleicht sogar recht, aber
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