Paradies für alle: Roman (German Edition)
also umverteilt werden muss, ist Arbeit, ich muss irgendwo welche finden für Lottas Mutter und ihren Vater, damit sie mehr verdienen und sich zu Hause auch nicht so viel streiten können, mit Livia oder den Brüdern oder gegenseitig, und die Brüder sollten auch mal was arbeiten, finde ich, einfach, damit sie was tun.
Wenn ich auch durch einen Wandschrank gehen und einen Löwen wie Aslan in Narnia finden könnte, das wäre wirklich gut. Falls Sie das nicht wissen: Aslan ist so etwas wie das gute Prinzip, vielleicht so wie Gott, wenn es denn einen gäbe. Er hilft allen und ist immer freundlich, sogar zu seinen Feinden. So wie Rosekast mal gesagt hat, dass man sein soll – man darf nicht mit Unrecht etwas Rechtmäßiges erreichen, und Unrecht zu erleiden ist besser, als Unrecht zu tun. Ich bin nicht Aslan oder Gott oder Rosekast, und natürlich ist es Unrecht, wenn wir Jarsen zum Beispiel wirklich erpressen würden, es ist sogar kriminell. Aber sehr effektiv.
Ich wäre lieber anders, ich wäre lieber effektiv, ohne etwas Unrichtiges zu tun.
Zwischendurch war der Film richtig brutal, und Lotta krallte sich erst an der Decke fest und dann an dem Hund, der das nicht mochte, und dann an meinem Arm, als der Löwe Aslan ins Lager seiner Feinde geht, freiwillig, und sie ihm erst die Mähne abschneiden und ihn dann umbringen.
»Es ist nicht schlimm«, sagte ich zu Lotta, weil ich ja das Buch kannte. »Er wird wieder lebendig, mach dir keine Sorgen. Er weiß das, es ist so wie ein Trick. Wer sich freiwillig opfert, wird wieder lebendig, das steht in so einem alten Gesetz in Narnia. Er wird wieder lebendig und verjagt alle Bösen.« Und Lotta war sehr erleichtert, als das stimmte.
Wir haben dann bei Rosekast übernachtet. Ich hatte noch mehr Picknick mit, das wir zusammen mit Rosekast aßen, und ich rief zu Hause an und sagte, ich würde bei Lotta übernachten. Lovis fand das eine mäßig gute Idee, weil sie Lottas Familie nicht wirklich kennt – und es wäre ehrlich gesagt sogar eine völlig blöde Idee, dort übernachten zu wollen. Sagt Lotta. Aber weil Lovis abends eine Vernissage hatte und weil am nächsten Tag Samstag war, also keine Schule, erlaubte sie es doch.
Lotta schlief auf dem Sofa und ich auf dem Fußboden, und Rosekast, nehme ich an, in seinem Bett oben im Haus, aber als wir einschliefen, war er noch wach und las in einem seiner philosophischen Bücher. Ich las auch noch ein bisschen, mit meiner Taschenlampe. Ich verstehe von Rosekasts Büchern immer nur einen kleinen Teil, aber gerade das ist schön, denn es macht sie geheimnisvoll, wie Bücher, die in einer Rätselschrift geschrieben sind.
Und dann ist das Schlimme passiert.
In der Nacht. Während wir schliefen. Ich werde es nur kurz erzählen, weil es keinen Spaß macht und weil es erst heute Morgen war.
Als wir durch den Wald nach Hause gingen, schneite es nicht mehr, und der ganze Februar war ein bisschen wärmer geworden, vielleicht vom Geburtstagfeiern, sagte Lotta. Und weil alles eigentlich schön war, wollten wir noch zur Tarzanschaukel.
Aber an der Tarzanschaukel war kein Schaukelast mehr, er war abgeschnitten worden.
Und an dem Seil hing ein Körper, mitten über dem Graben.
Es war die Marie.
Sie war ganz still. Das Seil ging einmal um ihren Hals, der Knoten war hinten im Nacken, und ihr Gesicht guckte nach unten zu uns. Es sah gruselig aus, irgendwie bläulich.
Lotta hat gekotzt, ich nicht.
»Und wir wussten nicht mal, dass sie unglücklich war«, sagte ich leise zu Lotta. »Wir hatten sie nicht mal auf der Liste.«
Der Erste, den wir fanden, um die Marie abzuschneiden, war Jarsen, der ging mit seiner grünen Waldjacke im Morgen spazieren. Es war die Jacke, aus der wir das Portemonnaie gefischt und das Geld herausgefischt hatten. Er sagte nichts darüber, woraus ich schließe, dass er nicht weiß, wer es war, oder es sogar gar nicht bemerkt hat, weil er so viel von dem Geld besitzt.
Er hatte ein Taschenmesser dabei, zum Glück.
Die Marie fiel auf den Boden, sehr schwer, immer noch dick. Sie trug nicht ihre knappen Minisachen für die Männer, sondern den Trainingsanzug, den sie auch anhatte, als ich da war und sie Tee für uns gemacht hat.
Zu Hause war niemand, weil Claas in der Klinik Dienst hatte und Lovis in ihrem Atelier war und graue Kästchen malte. Ich habe wieder einen Wutanfall bekommen und einen Stapel Teller zerschmissen. Das Schlimmste ist, dass sie nicht auf der Liste war.
Nein. Das Schlimmste ist, dass ich glaube, ich weiß, warum
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