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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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irgendwas Dunkles an, grau oder schwarz, in der Dämmerung sah man fast nur die Haare, wie die geleuchtet haben, und er hat dann bezahlt, hatte das Geld wohl lose in der Tasche, und ist wieder raus und in das Auto gestiegen, so ein großes, ich weiß das Kennzeichen nicht, natürlich nicht, nur groß wars, die Marke, keine Ahnung, Männer merken sich ja immer die Marke, aber ich hab da nicht drauf geachtet, ich weiß nur noch, dass es dunkel war, dunkelblau oder dunkelgrün oder sogar schwarz, und dann sind sie weg, der Mann hat auch noch bezahlt, so ein ziemlich großer, mit einem Bartansatz, als hätte er sich ein paar Tage nicht rasiert, bisschen schiefe Nase, Windjacke. Jeans, glaube ich. Sah irgendwie aus wie in der Reklame für die Firma, die immer diese Outdoorsachen macht … Die Polizei hat wohl nach einem gesucht, der den Jungen entführt hat oder so? Der sah aber nicht aus, als ob ihn einer entführt, er hat mit dem Mann geredet, mehr so als würde er ihn kennen, aber na ja, vielleicht hat der ihn ja auch irgendwie gezwungen, wieder einzusteigen, ich weiß nicht, hier ist er nur rein wegen der Schokolade, jedenfalls dachte ich das, hat auch gar nichts weiter gesagt, bloß das Geld hat er mir gegeben, ein bisschen blass sah er schon aus, wenn ich da jetzt so drüber nachdenke, aber ich dachte, dass das am künstlichen Licht liegt. Vielleicht war’s nicht das Licht. Vielleicht hatte er Angst.«
    Der Redeschwall versiegte, zum allerersten Mal, und ich hörte den Sprecher oder besser die Sprecherin am anderen Ende Luft holen.
    »Sie arbeiten«, sagte ich sehr langsam, »an einer Tankstelle? Ist das richtig?«
    »Ja«, sagte der Redeschwall, der keiner mehr war. »Ich wollte nur, dass Sie das wissen. Dass mich aber da keiner mit reinzieht, ich hab nichts damit zu tun. Aber der Junge … haben Sie ihn denn wiedergefunden?«
    »Haben Ihnen das Ihre Kollegen nicht erzählt?«
    »Nein, ich weiß nicht, nee, hab nicht gefragt … o Gott … er ist doch nicht etwa … so ein hübscher Junge, Ihr Sohn, nehme ich an … er ist doch nicht tot?«
    »Nein«, sagte ich, und ich wollte noch mehr sagen, viel mehr. Vor allem wollte ich fragen. »Bitte, kann ich mit Ihnen sprechen? Können wir uns irgendwie treffen? Am besten jetzt gleich? Ich komme zu Ihnen, sagen Sie mir nur, welche Tankstelle das ist …«
    »Tut mir leid«, sagte die Stimme, »ich hab das schon gesagt, ich will da nicht reingezogen werden. Auch nicht vor Gericht aussagen oder so. Ich bin gar nicht auf Arbeit, bin zu Hause, es nützt also nichts, die Tankstellen abzuklappern, ich wünsch Ihnen was. Und dem Jungen. Aber lassen Sie mich da bitte außen vor.«
    Und dann war die Leitung tot.
    Ich stand auf, stand da, auf einem Hügel an der Autobahn, mit einem nutzlosen Handy in der Hand, ganz allein. Einen Moment lang starrte ich es an, in der Hoffnung, es würde noch einmal klingeln. Dann feuerte ich es mit einem wütenden Aufschrei ins Gras.
    »Warum?«, schrie ich. »Warum haben Sie aufgelegt? Sie … verstehen Sie denn nicht … ich muss es wissen! Ich muss wissen, wer David mitgenommen hat! Ich muss …«
    Der Wind trug meine Worte die leere Autobahn entlang. Und dann fiel mir ein, dass ich vielleicht genug wusste. Und mir wurde schlagartig schwindelig. Ein großes, dunkles Auto. Ein hochgewachsener Mann in einer Windjacke. Er hat mit ihm geredet, als würde er ihn kennen. Etwas schiefe Nase.
    »Claas?«, flüsterte ich.

10.
    Die Kneipe war genau das, was man von einer Kneipe erwartet: klein, alt und dunkel. Ich war dankbar für die Dunkelheit, denn darin konnte ich verschwinden wie jemand, den es gar nicht gab. In letzter Zeit war ich mir zunehmend unsicher, wer ich überhaupt war oder wer ich sein wollte und ob ich mich, im Falle, dass ich mir begegnete, würde leiden können. Vermutlich nicht, und so war es gut, im Kneipenzwielicht zu verschwinden, denn jemand Verschwundenem kann man überhaupt nicht begegnen.
    Außerdem hatte ich den Hund jetzt bei mir. Es war ein wenig verrückt, aber ich war tatsächlich noch einmal zurück nach Hause gefahren, um ihn zu holen. Es war, als hätte ich ein Stück von David bei mir. Der Hund legte sich unter eine Eckbank und wurde so unsichtbar wie ich, er verschmolz mit den verrauchten Schatten, ein schlafender Gedanke, allerhöchstens die (platonische?) Idee eines Hundes, an der sich niemand stören konnte.
    Thorsten holte ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete die Kerze auf dem Tisch an, wodurch es

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