Paradies für alle: Roman (German Edition)
sie das gemacht hat. Wegen Celia und ihrem Schauspieler, der dann doch unecht war. Er hat es ihr bestimmt gesagt, beim Tee in der Küche. Es wäre so schön gewesen, wenn er echt gewesen wäre, sicher hat die Marie das auch gedacht, oder? Alles Schöne ist immer unecht, jedenfalls, wenn man jemand ist wie Celia oder ihre Mutter, irgendwie muss die Marie das begriffen haben, und dass es nie anders wird.
Ich wünschte, ich hätte ihr die Paradieswerkstatt und das mit der Murmel ausführlicher erklärt. Dann hätte sie gewusst, dass es nicht so bleibt, dass auch für Celia und sie und alle anderen das schöne echt wird, sobald mein Paradies fertig ist.
Aber die verdammte Murmel ist viel schwerer, als ich am Anfang dachte. Und es ist eher so, als ob sie dauernd zurückrollt, zurück, so wie bei Sisyfus. Falls Sie nicht wissen, wer Sisyfus ist: Gucken Sie im Lexikon nach.
Ich bin zu KO, um das auch noch zu erklären.
Ich schlug die Mappe zu wie stets und ging zu David, und da lag er in seinem Bett, und ich dachte, das ist es, du bist einfach nur KO, das ist alles. All diese Leute, all diese privaten Höllen, die du in private Himmel verwandeln wolltest! Es war auf einmal, als bestünde der Verband, der noch immer seine Haare verbarg, aus einem Ring von privaten Höllen, einem Ring von ungelösten Problemen, der sein Hirn zusammenpresste, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht hinzugreifen und das weiße Material zu lösen.
»Dein Körper«, flüsterte ich, »braucht Schlaf. Ruhe. Deshalb wachst du nicht auf. Es war zu viel. Auch noch die Marie … verdammt, die Marie. Sie ist weggegangen, hat Celia gesagt. In den Wald. Das erklärt, weshalb sie nicht wiedergekommen ist.«
Ich erinnerte mich an die zerschmissenen Teller und daran, wie David den Laptop ausgeliehen hatte, ohne zu fragen. Ich war diejenige gewesen, die deshalb mit ihm geschimpft hatte, weil ich geglaubt hatte, David erziehen zu müssen. Wie dumm von mir. Claas hatte nur abgewinkt. Und David hatte also nie bei Lotta übernachtet. Stattdessen hatte er in einer abbruchreifen Hütte im Wald geschlafen, bei einem alten Mann, der ausgeschnittene Zitate in Umschlägen verschickte, statt sich selbst zu äußern.
»Aber was … was hätte ich denn wie genau anders machen sollen?«, flüsterte ich. »Hätte ich nie zu einer einzigen Vernissage gehen dürfen? Nie malen, wenn er zu Hause war? Sitzt die perfekte Mutter immerzu auf Abruf im Wohnzimmer, beobachtet ihren Sohn und … stickt?«
»Ich glaube nicht«, sagte jemand hinter mir, der selbstverständlich Thorsten Samstag war. »Ich glaube, es gibt keine perfekten Eltern. Und wenn es welche gibt, fallen sie ihren Kindern sicher fürchterlich auf die Nerven.«
Er lächelte. Aber nur mit dem blauen Auge. Das braune war ernst.
»Die Bilder«, sagte ich. »Claas hat etwas über Bilder gesagt. Bilder, die ich hätte sehen sollen, etwas, das den Unfall betrifft.«
»Das Kopf-CT?«, fragte Thorsten. »Wir machen eine Verlaufskontrolle. Willst du die Bilder sehen?«
Ich dachte einen Moment nach. »Nein.«
»Es ist deine Entscheidung.« Er strich Davids Bettdecke glatt. »Hast du weitergelesen? Ich meine, wenn … wenn ich das fragen darf.«
Ich nickte. »Bist du gerade Arzt, oder bist du gerade einfach so hier?«
»Leider gerade Arzt«, sagte Thorsten. »Aber wenn du möchtest, kannst du mir heute Abend erzählen, was David dir erzählt hat. Irgendwo, wir könnten irgendwo einen Kaffee trinken. Meine Kinder … damals … sie haben kein Tagebuch geschrieben. Sie haben mir nie etwas erzählt, über sich, so wie David jetzt dir. Ich hatte keine Chance, sie zurückzuholen, indem ich die Welt ändere.«
Ich sah ihn an und versuchte, herauszufinden, ob er sich über mich lustig machte. Ich hatte ihm von meinem Plan erzählt, Frau Hemke wieder in ihr Haus ziehen zu lassen, und womöglich sogar mit dem Milchbauern zu sprechen, ich hatte ihm sehr viel erzählt, vielleicht zu viel.
»Glaubst du, das ist es, was ich tue?«, fragte ich. »Die Welt ändern?«
»Das ist es, was du versuchst. Der Versuch zählt.«
Ich sah in Torstens blaues Auge, dann in das braune. Sie waren beide ernst, er machte sich nicht lustig. Er sah nicht auf mich herab. Wieso war es mir immer so vorgekommen, als blickte Claas auf mich herab?
»Heute Abend«, sagte ich. »Ich weiß nicht. Ja. Zu Hause bin ich sowieso allein.«
»Davids … Vater?«
Ich schüttelte den Kopf. Thorsten sah mich einen Moment lang prüfend an, dann sah
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