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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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konnten. Ich tastete in meiner Jackentasche nach dem Fotoapparat, aber er war in irgendeine Falte gerutscht und hatte sich verheddert.
Livia löste sich jetzt von Jarsen, trat ein paar Schritte zurück, in die große, leere Eingangshalle hinein, und schüttelte den Kopf, dass ihr blondes Haar nur so flog.
»Immer an Fenstern, was«, sagte sie. »Du kannst es nur am Fenster tun. Damit du es rechtzeitig siehst, falls sie zurückkommt.«
Jarsen drehte sich um, um sie anzusehen. Er sagte nichts. Livia ging quer durch die Halle, bis zu dem Bild von der Riesin in dem Sommerkleid, und ließ ihre Finger über die bemalte Leinwand gleiten. Ich sah, wie Jarsen zusammenzuckte, es war ganz klar, dass er nicht wollte, dass Livia das Bild anfasste. »Manchmal«, sagte sie, »habe ich es sehr satt, weißt du?« Sie lachte einmal hell auf, als sie das sagte, und warf den Kopf dabei zurück wie ein Pferd, das wiehert, aber weniger lebensfroh. »Na, wo ist sie, die Ähnlichkeit? Jarsen, Jarsen, da ist gar keine Ähnlichkeit, nichts als die Figur und die Haarfarbe. Es waren immer dünne, blonde Frauen, was? Vor mir auch … Wie viele waren es über die Jahre? Wie lange geht es jeweils? Monate? Ein Jahr? Wie entscheidest du, wann es endet und die nächste kommt, um sie zu ersetzen?«
»Ich entscheide gar nichts«, sagte Jarsen vom Fenster her. Er stieg wieder in seine Hosen, die neben ihm auf dem Boden gelegen hatten, und fand dort auf dem Boden auch eine Bluse und eine Jeans, die er Livia entgegenstreckte. »Zieh dir was an. Es ist kalt.«
Sie schüttelte den Kopf und sah an sich hinab. »Gefalle ich dir nicht, so wie ich bin? Sie hätte das nicht getan, was, sie wäre nicht nackt durchs Haus gelaufen, sie war zu sehr Dame …« Sie stellte sich direkt vor das Bild, die Beine gespreizt, die Hände zur Seite gestreckt, die Finger am Bilderrahmen, als wollte sie das Bild auf ihren Rücken nehmen und davontragen. Oder es verdecken.
»Sie kommt nicht zurück«, sagte sie. »Und ich werde gehen, genau wie alle anderen. Ich weiß gar nicht, warum ich noch hier bin. Ich weiß es wirklich nicht …«
»Das kann ich dir sagen«, sagte Jarsen bitter. »Weil du gerne nackt durch große Häuser läufst. Da, wo du zu Hause bist, gibt es nicht mal drei Quadratmeter, um nackt herumzulaufen, denn das Badezimmer hat nur zwei, nehme ich an. Und es gibt keine gerahmten Spiegel, spiegeln kannst du dich höchstens in den dreckigen Fensterscheiben. Und niemand schenkt dir das Geld für neue Kleider, du müsstest vielleicht tatsächlich selbst arbeiten, um das zusammenzukriegen. Lang füttern sie dich da sowieso nicht mehr durch, in dem grauen Mäusenest, wo sich die Zahl der Münder ständig nur vermehrt und vermehrt.«
»Ja, du guck nur auf uns runter«, fauchte Livia. »Das kannst du ja gut. Hol sie dir nur her in dein großes Haus, die blonden Mädchen aus den grauen Mäusenestern, die so jung sind wie deine Frau damals war, als du sie kennengelernt hast. Und dann guck, wie dankbar sie dir sind, die armen Mäuschen! Bah.« Sie spuckte tatsächlich aus, spuckte Jarsen vor die Füße. »Ich höre jetzt damit auf, ein Mäuschen zu sein«, sagte sie. »Ein Ersatz für eine Frau, die nicht mehr da ist. Such dir die nächste Maus.« Damit ging sie an ihm vorbei, hocherhobenen Hauptes, nackt, zur Vordertür. »Schließ die Tür auf«, sagte sie. »Ich will einmal durch diese Vordertür gehen, nicht durch den Dienstboteneingang an der Seite.«
»Bleib!«, bat Jarsen, und nun klang seine Stimme nicht mehr bitter, sondern flehend. »Ich brauche dich! Bleib, bleib! Ohne dich kann ich nicht sein, ich kann … ich kann nicht allein sein. Ich habe …« Er holte tief Luft. »Angst.«
»Der große Jäger, er hat Angst vor dem Alleinsein, mein Armer«, sagte Livia und schlang ihm die Arme um den Hals – sehr plötzlich, wie ich fand, denn eben hatte sie doch noch gehen wollen?
»Na gut«, flüsterte sie. »Eine Weile bleibe ich noch. Vielleicht eine lange Weile. Aber ich werde gehen, Jarsen. Ich gehe weg. Nach Rostock. Oder Berlin. Oder Hamburg. Oder wer weiß? London?«
»Wie kommst du da hin?«, fragte Jarsen und streichelte ihre nackten Arme. »Schwimmst du?«
»Du wirst mir das Geld für die Reise geben, nehme ich an. Ich könnte dich erpressen. Es gibt Fotos. Deine Frau wird sich dafür interessieren.«
Ich schnappte hinter unserer Tür nach Luft. Livia selbst war auf den gleichen Gedanken gekommen?
»Meine Frau«, sagte Jarsen. »Glaubst du das, Livia?

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