Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
sagte ich, »hier im Garten. Ich habe gelesen, irgendwo haben sie eine Kirche gebaut, indem sie einfach Weidenzweige in die Erde gesteckt haben als Gerüst, und die sind dann gewachsen. Eine lebendige Kirche! Weißt du was, Lotta, das machen wir, eine lebendige Kirche ist so gut, dafür braucht man nicht mal einen Gott.«
Und das haben wir getan, eine Woche später, in Rosekasts Garten. Und als wir in unserer Kirche saßen, die noch keine grünen Blätter hatte, aber später welche bekommen würde, sagte Lotta: »Wir könnten eigentlich einen Gottesdienst für die Marie machen. Ich glaube, als sie begraben wurde, gab es nämlich keinen.«
»Aber wo es doch keinen Gott gibt, was soll die Marie mit einem Gottesdienst?«, fragte ich.
»Gibt es denn keinen Gott?«, fragte Rosekast von draußen, denn er war nicht mit in die Kirche gekrochen, die etwas niedrig war. »Haben wir das bewiesen?«
»Es gab einen Typ, der hat einen Gottesbeweis gemacht«, sagte ich. »Das habe ich in einem Ihrer Bücher gelesen. Descartes hieß der. Er hat gesagt, wir sind un-perfekte Lebewesen, und Gott ist perfekt, und ein un-perfektes Lebewesen kann sich ja nicht einfach so ein perfektes Wesen ausdenken, und deshalb muss Gott uns die Idee sozusagen von oben zugeschickt haben, dass es ihn gibt, und deshalb gibt es ihn.«
»Hä?«, fragte Lotta.
»Das ist richtig«, sagte Rosekast.
»Ich habe einen viel einfacheren Gottesbeweis«, sagte Lotta und kramte etwas aus ihrer Tasche. »Hier.« Sie legte eine Packung Kinderriegel auf den Boden, die irgendwie nicht aussah, als hätte sie sie im Laden bezahlt, ich weiß gar nicht, wieso. »Schokolade«, erklärte Lotta. »Es gibt Schokolade.«
Das ließ sich schlecht leugnen.
»Na ja, und Schokolade ist perfekt, und die Menschen können sich also die Schokolade wohl nicht selber ausgedacht haben, wie? Weil die Menschen ja nicht perfekt sind? Also hat Gott die Schokolade gemacht, und deshalb gibt es ihn.«
»Wann wurde die Schokolade erfunden?«, fragte ich. Das wusste Rosekast auch nicht, es ist wohl schon ziemlich lange her. Damals gab es also noch einen Gott … Aber das ist ja Unsinn, weil Lottas ganzer Gottesbeweis Unsinn ist. Die Kinderriegel aßen wir trotzdem, Rosekast aß auch einen, das war das Festmahl für die Marie, und damit war der Gottesdienst für sie beendet.
Ich glaube, er hätte ihr gefallen.
Zwei Tage später hatten wir endlich Glück bei Jarsen. Ich bin vorher noch ein paar Mal hingegangen, aber entweder war Livia nicht bei ihm oder er machte irgendwas draußen im Hof und hätte mich gesehen, wenn ich durchs Tor geschlüpft wäre.
Diesmal fuhr er in dem schwarzen Jeep an uns vorbei, als wir die aufgehängten Fotos im Bushäuschen kontrollierten, und wir sahen, dass Livia mit drinsaß, obwohl sie versuchte, nicht da zu sein. Da sagte ich Lovis, ich müsste an dem Tag aus dringenden Gründen bei Lotta Abendbrot essen, was sie wieder für eine schlechte Idee hielt, und wir gingen direkt los, mit dem Fotoapparat.
Eigentlich hatte ich gehofft, Lovis würde das mit dem Apparat merken und ihn mir wieder abnehmen. Ich wollte Jarsen und Livia gar nicht fotografieren. Ich wollte ihnen auch nicht noch mal zugucken. Ich wusste nur, dass ich es tun musste, wenn ich an Geld kommen wollte.
Wir zwängten uns durch die Eisenstäbe des Tores wie beim letzten Mal, die Seitentür war offen wie beim letzten Mal, wir schlichen durch den Flur hinter der Seitentür wie beim letzten Mal. Und dann standen wir an der Tür zur vorderen Eingangshalle, und die Dinge waren nicht mehr wie beim letzten Mal.
In der Eingangshalle schrie jemand. Einmal, sehr laut und gellend.
Ich sah Lotta an, und Lotta sah mich an. Dann drückte ich vorsichtig die Tür auf. Es war jetzt still.
Zu beiden Seiten der doppelflügeligen Vordertür des alten Gutshauses gab es hohe Fenster mit langen, schweren Vorhängen, die bis zum Boden reichten, aber mehr als Dekoration dienten, ich glaube, man konnte sie nicht zuziehen. Am linken dieser Fenster stand Jarsen, mit dem Rücken zu uns. Er trug ein Hemd, aber keine Hose, und er hielt etwas oder jemanden in den Armen. Einen Körper, dachte ich. Livia, dachte ich. Sie bewegt sich nicht, dachte ich. Sie hat geschrien.
Ich spürte, dass Lotta ihre Finger in meine gekrallt hatte.
Und dann bewegte Livia sich doch, sie stand jetzt neben Jarsen, sie war nackt und sehr lebendig. Ich atmete auf und schloss die Tür wieder ein Stück weit, so dass nur ein Spalt blieb, durch den wir hindurchsehen

Weitere Kostenlose Bücher