Paradies für alle: Roman (German Edition)
Lotta, meiner Nachbarin …«
»Ich kann ihm ja mal meinen Pulli oder meine Hose anbieten«, sagte Finn und lachte. Sein Pullover war dunkelgrau und seine Hose schwarz, es wäre sicher praktisch gewesen für den Penner, denn dunkelgrau schmutzt nicht so leicht. Weshalb Finn dunkelgrau mag, glaube ich.
Finn ist allerdings auch nicht größer als ich, und der Mann war ziemlich groß.
»Kommst du jetzt mit zu unserem Rennen oder nicht?«, fragte Peter.
»Kann nicht«, sagte ich, »ich muss nachdenken.«
Da gingen sie ohne mich, und sie waren ein bisschen beleidigt, glaube ich, weil ich in letzter Zeit so viel nachdenken muss und so wenig Zeit für andere Dinge habe.
Ich habe den Mann auf meine Liste geschrieben. Er war ungefähr so groß wie Claas. Ich dachte, dass Claas es sicher nicht merkt, wenn aus seinem Kleiderschrank ein paar Sachen fehlten.
Er hat es nicht gemerkt.
Der Penner hat sich gewundert, als ich ihm am nächsten Tag eine Tüte gab, eine sehr große Plastiktüte. Ich habe gelächelt und gesagt »für ihre Plastiktüten-Sammlung«. Eine von Claas beiden Windjacken war drin, die ist gut gegen Regen, und ein dicker Pullover auch und eine heile Hose. Und es fühlte sich prima an, ihm die Sachen zu geben, denn da konnte ich ihn gleich wieder abhaken, und so wirklich viele Haken gibt es auf meiner Liste ja nicht.
Ich glaube allerdings, ich muss auch eine Wohnung für den Penner finden, also ist es nur ein halber Haken. Ich habe Rosekast von dem Penner erzählt, und Rosekast fragte, ob ich mich erkundigt hätte, ob der Penner eine Wohnung haben möchte. Das habe ich dann getan, und bin zurück zu Rosekast gegangen und habe ihm erzählt, dass der Penner genickt hat. Er möchte also eine Wohnung.
»Ich habe ihn allerdings dann probeweise gefragt, ob es schneit«, sagte ich, »und da hat er auch genickt, obwohl es nicht geschneit hat. Und ich habe ihn gefragt, ob er glücklich ist, und er hat wieder genickt.«
»Schwierige Sache«, sagte Rosekast. »Sein Nicken kann dreierlei bedeuten. Erstens: ja. Zweitens: nein. Drittens: gar nichts.«
»Ja«, sagte ich, »erstens möchte er keine Wohnung, und es schneit draußen nicht, was ja stimmt, und er ist unglücklich. Dann frage ich mich, wie man ihn glücklich machen kann, wo er doch keine Wohnung will … Zweitens glaubt er, es würde draußen schneien, will eine Wohnung und ist glücklich, aber wozu will er eine Wohnung, wenn er schon glücklich ist?«
»Na, weil er glaubt, dass es draußen schneit«, sagte Lotta.
»Und wenn sein Nicken gar nichts bedeutet … dann ist ihm alles egal, oder wie?« Ich dachte eine Weile nach. »Vielleicht«, sagte ich schließlich, »ist der Penner ein Philosoph. Und er hat zu allen drei Fragen genickt, um uns eine Art Rätsel aufzugeben. Ich habe gelesen, dass es einen anderen Philosophen gibt, Diogenes, der allerdings schon tot ist, und der lebte in einer Tonne.« In Rosekasts Garten gab es eine Tonne, in die das Wasser aus der Regenrinne hineinfloss, und auf einmal hatte ich eine Idee. »Er zieht zu Ihnen!«, rief ich und sprang von der Bank auf, auf der wir wieder mal gesessen hatten. »In die Regentonne! Und Sie können sich über Philosophie unterhalten.«
»Ich bin nicht hier, um mich zu unterhalten«, sagte Rosekast, »sondern …«
»… um die richtigen Fragen zu stellen«, sagte ich. »Ganz genau! Sie stellen Ihre Fragen, und der Penner nickt einfach immer, und dann können Sie den Rest der Zeit darüber nachdenken, was er damit gemeint hat.«
»Solange es dabei nicht die ganze Zeit schneit«, sagte Rosekast.
Das würde es aber natürlich nicht tun, denn jetzt ist ja schon März, und in den Beeten, die wir gemacht haben, sind lauter erste grüne Frühlingsknospen.
»Ich wünschte«, sagte ich, »alle könnten hier zu Ihnen ziehen, Lovis zum Beispiel oder Claas. Ich würde ihnen gerne zeigen, wie gut es sich anfühlt, hier ganz ruhig neben Ihnen zu sitzen und über das zu reden, worüber man gerade nachdenkt. Ich glaube, sie reden nie über das, worüber sie nachdenken … vor allem nicht miteinander …«
»Meine Eltern reden auch nicht«, sagte Lotta. »Die schreien sich höchstens an. Und dann ist es im Haus so laut, dass gar keiner mehr über irgendwas nachdenken kann. Weißt du, was ich neulich gemacht habe? Da bin ich in die alte Kirche reingegangen, heimlich, so wie wir an Weihnachten, und ich habe mich einfach in eine Kirchenbank gesetzt, und es war ganz still. Das war schön.«
»Wir könnten eine Kirche bauen«,
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