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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Glaubst du das wirklich? Weißt du denn, wo sie ist? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Sie hat ihre Spuren gründlich verwischt, sie hat dafür gesorgt, dass niemand sie zurückholen kann. Wenn sie kommt, kommt sie aus freien Stücken.«
»Sie kommt nur nicht«, sagte Livia.
Jarsen zuckte die Schultern. »Sie hat das nie gesagt. Dass sie nicht zurückkommt. Sie hat auf Wiedersehen gesagt. Auf Wiedersehen. Ich brauche ein wenig Zeit, sagte sie, ein wenig Zeit für mich …«
»Zehn Jahre«, sagte Livia.
»Elf«, sagte Jarsen. »Zieh dir jetzt was an. Du hast Gänsehaut.«
Livia schnappte sich ihre Sachen und ging durch die Halle zu der Treppe, die nach oben führte, vielleicht ins Bad. Vielleicht wollte sie sich noch ein wenig in den großen, gerahmten Spiegeln spiegeln, dachte ich. Jarsen blieb einen Moment lang stehen und sah das Bild von der Riesin an, die seine Frau gewesen war oder noch war. Sie war natürlich in Wirklichkeit nicht riesig gewesen, es war nur die Erinnerung, die sie zur Riesin machte. Lotta zog an meinem Ärmel. »Lass uns gehen!«, wisperte sie. »Du hast das gehört. Es nützt nichts, Fotos zu machen.«
»Mist, ja«, sagte ich, etwas zu laut.
»Hallo?«, sagte Jarsen.
»Komm«, flüsterte Lotta, ließ meinen Ärmel los und rannte. Ich wollte ihr nachrennen, aber meine Gedanken hatten sich im Nachhall des Gesprächs zwischen Jarsen und Livia verheddert, und so stand ich da, gedankenverloren, wahrhaft verloren in meinen Gedanken; ich sah Jarsen auf die Tür zukommen, aber meine Gedankenverlorenheit hielt mich fest, wo ich war.
Er öffnete die Tür mit einem Ruck, und wir starrten uns an. Ich dachte, dass in meiner Hand noch immer Lovis Fotoapparat war.
Jarsen packte mich am Arm und zog mich aus dem Schatten des Flurs ins hellere Licht der Eingangshalle. »Was tust du hier?«, fragte er. Er schrie nicht, aber er sprach sehr laut, und seine Worte hallten in der Halle, weshalb eine Halle vermutlich so heißt.
»Ich … das ist ein Projekt«, antwortete ich. »Ein geheimes Projekt.«
»Ach so«, sagte Jarsen. »Und das Projekt beinhaltet, sich in die Häuser fremder Leute zu schleichen und bisweilen auch etwas Geld mitgehen zu lassen oder eine Uhr?«
»Nein, ja, ich –«, sagte ich.
»Weißt du, was man mit dir machen sollte?«, fragte Jarsen. »Verhauen sollte man dich, das wäre das Richtige. Aber das ist nicht meine Sache.« Er seufzte. »Du bist aus dem alten Pfarrhaus, oder? Der Sohn der Malerin?«
Ich nickte, weil er das sowieso wusste. Er hielt mich sehr fest. Ich hatte Angst.
»Wir fahre jetzt zu dir nach Hause«, sagte Jarsen, »und ich rede mit deinen Eltern.«
Zwei Minuten später bugsierte er mich auf den Beifahrersitz des schwarzen Jeeps. Ich sah mich nach Lotta um, doch sie war nirgendwo zu sehen. Jarsen ließ mich erst los, nachdem er die Türen von innen verriegelt hatte.
»Schnall dich an«, sagte er barsch. Er hatte jeden Grund, barsch zu sein, natürlich. Ich ballte die Fäuste vor Wut, als er den Motor startete, aber meine Fäuste nützten mir nichts, das Fensterglas des Jeeps konnte ich wohl nicht einschlagen.
Das Tor ließ sich mit einer Fernbedienung vom Auto aus öffnen.
Ich drehte mich um. Oben im Gutshaus flackerte in einem Fenster ein Licht in den Abend. Kerzenschein, dachte ich, Livia steht dort oben und hat eine Kerze angezündet und fragt sich sicher, wohin wir fahren. Würde sie warten, bis Jarsen zu ihr zurückkam?
Die Scheinwerfer des Jeeps malten Muster auf den Sandweg, als wir am Waldrand entlangholperten.
»Warum ist sie damals weggegangen?«, fragte ich.
Jarsen verschaltete sich, und der Motor heulte auf. »Wer?«
»Ihre Frau.«
»Das geht dich nichts an«, sagte Jarsen, und dann, zwei Schlaglöcher später: »Ich weiß es nicht. Mich ging es wohl auch nichts an. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es geändert, und sie wäre nicht weggegangen. Aber manchmal wollen Leute nicht, dass Leute etwas ändern, manchmal wollen Leute lieber einen Grund haben, zu gehen.«
Ich glaube, er sagte diese Sätze zu sich selbst, nicht zu mir, und er hätte noch mehr Sätze gesagt, aber dann bremste er ganz plötzlich, weil etwas auf dem Sandweg lag. Erst dachte ich, es wäre ein Tier, ein Wildschwein oder ein überfahrenes Reh, aber wieso sollte hier ein Reh überfahren worden sein? Dann sah ich, dass es kein Tier war, sondern ein Mensch, ein kleiner Mensch. Es war Lotta.
»Verdammte Scheiße, was –?«, sagte Jarsen und versuchte, das Lenkrad herumzureißen. Es hatte

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