Paradies für alle: Roman (German Edition)
gewesen war. Aslan war gestorben und wiedergekommen. Gab er mir Hoffnung darauf, dass David unversehrt wieder erwachen würde? Aber David konnte schließlich nicht vorausgesehen haben, dass er einen Unfall haben würde. Er hatte sich nach einem Aslan gesehnt, der ihm in seinem Kampf für das Gute half, das war alles. Das reichte ja.
Ich fütterte den Hund, ging nach oben und malte dem Gott in der Mitte des Triptychons ein Löwengesicht.
Mitten in der Nacht wachte ich auf und konnte nicht wieder einschlafen. Der goldene Filmlöwe hatte sich in meine Träume geschlichen, und auf seinem Rücken hatte David gesessen, mein Prinz mit dem goldenen Haar. Sie hatten die Stufen der steinernen Treppe zwischen den animierten Ungeheuern gemeinsam überwunden, freiwillig im Lager der Feinde … und David hatte wieder Finns dunkle Sachen getragen, eins mit der filmischen Nacht.
Die Betthälfte neben mir war sehr leer, so leer, als wäre die Leere ein Gegenstand, der sich ausbreitete und mir den Platz zum Schlafen wegnahm. Ich fragte mich, ob ich Claas vermisste.
Einen Moment lang dachte ich an die Zeit, in der wir verliebt gewesen waren. Es hatte durchs Dach von Claas’ billigem Zimmer geregnet, und alles war einfach erschienen. Wir waren morgens nebeneinander aufgewacht, ohne zu wissen, wie wir das Dach flicken würden, aber unter der Decke hatten wir anderes zu tun, schon morgens, ehe Claas in die Klinik ging. Ich weiß nicht, wo die Mauer damals war. Fort. Winzig. Unwichtig. Aber das alles war sehr, sehr lange her.
Nein, sagte ich mir, ich vermisste Claas nicht, nicht den Claas, der er jetzt war, den zu vernünftigen Claas, dessen Leben nur noch aus medizinischen Fachbegriffen bestand.
Wonach ich mich sehnte, war nicht Claas, sondern ein menschlicher Körper neben mir im Bett. Ein warmer, atmender, freundlicher Körper.
Ich schlüpfte in meinen Bademantel und schlich hinüber in Davids Zimmer, wo neben der Schreibmaschine die braune Ledermappe lag, aufgeschlagen bei Eintrag Nummer elf.
Und ich fand das System – es war wieder die Verschiebung um fünfzehn Stellen, jeder Code wiederholte sich irgendwann. Ich brauchte keine Schreibmaschine. Ich nahm die Mappe und einen Bleistift mit nach unten in die Küche, wo noch die Schale mit dem Rest der Kartoffelchips stand.
Daneben lag ein vergessenes Babystrickjäckchen, pink, rührend in seiner Hässlichkeit.
Beinahe fand ich es traurig, dass Celia weggehen würde. Und gleichzeitig sang es in mir, wenn ich daran dachte, wie sie meine Hände gedrückt hatte. Es gab Lösungen. Für alles. Um sie zu finden, brauchte ich nur eines zu tun: sie suchen.
Auch David schien das gedacht zu haben, denn im April hatte er geschrieben:
Werkstattbericht – Eintrag 11
21. 4. 2011
Alles kommt in Ordnung.
Wie schön dieser Satz aussieht, auch in der anderen Schrift! Es ist ein altmodischer Satz, und ich mag ihn: Alles kommt in Ordnung.
Im letzten Monat habe ich so viele Probleme gelöst, dass mein Kopf davon schwirrt. Es würde Äonen dauern, alles haarklein zu erzählen, daher mache ich eine Liste:
Frau Hemke – das Geld. Es ist da. Ich habe Claas einfach doch gefragt. Und er hat gesagt, schenken wird er es mir nicht, aber leihen. Ich werde später sicher ein berühmter Forscher oder etwas Ähnliches, hat er gesagt, vielleicht auch nur ein hyperintelligenter Müllmann, man weiß nie. Aber in jedem Fall werde ich Geld verdienen, und dann kann ich es ja zurückzahlen. Wir können also den amulanten Pflegedienst für Frau Hemke bezahlen. Ich muss das aber erst mit ihrem Sohn klären, und der ist offenbar verreist. Wenn er wiederkommt, gehe ich sofort hin. Vorher sage ich Frau Hemke noch nichts, damit es eine Überraschung ist.
Herr Wenter – der Arzt. Herr Wenter muss nicht zum Arzt, es ist ganz einfach: Der Arzt kommt zu ihm. Auf diese Idee hat mich auch Claas gebracht, jedoch nur dadurch, dass es Claas gibt. Ich habe ihn (Claas) (den Arzt) zu Herrn Wenter gebracht. Und Claas hat gesagt, er ist kein Röntgengerät, und eigentlich auch Herzarzt, aber so, wie er das sieht, geht es Herrn Wenter ziemlich mies. Und so, wie er das sieht, muss man ihn schnell in ein Krankenhaus bringen. Und so, wie er das sieht, hat Herr Wenter entweder einen Lungentumor oder TB, was Tuberkulose heißt und fast nicht mehr vorhanden ist in Deutschland, aber eben doch, vor allem in Polen, wo Herr Wenter auch mal ab und zu war. Und wenn er den Tumor hätte, wäre er wohl eher schon tot. Weil er aber noch
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