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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Lust auf Streit. Also hab ich ihm meine Sachen gegeben und seine genommen, obwohl ich den roten Pulli ziemlich kindisch finde.« Er zuckte mit den Schultern. »Er hat gesagt, die Sachen sind nur geliehen, wir tauschen später wieder zurück. Er war immer komisch, mit allem, die Ideen, die er hatte … aber so das letzte halbe Jahr oder so war er echt noch komischer. Er hat nich mehr richtig aufgepasst beim Fußball, und in der Schule auch nich, in Mathe war er gar nicht mehr so gut, er hat gelesen statt Mathe, lauter Bücher, die kein Mensch verstehen konnte. Zuletzt hab ich gesehen, da hat er die Bibel gelesen, echt, die Bibel. Ich meine, wir hatten diese Werkstatt mit Religionen, da hab ich auch was über die Bibel gemacht, aber gelesen hab ich die nicht, nur mal so eine Seite zur Probe, die Bibel lesen, das machen doch nur ganz alte Omas.«
    Er hatte bei jedem Satz ein Stück von dem Legofahrzeug abgebaut, und jetzt lagen lauter kleine Teile vor ihm auf dem Couchtisch und es gab kein Fahrzeug mehr.
    Finns Mutter wollte etwas sagen, aber Finns Vater legte ihr wieder die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf.
    »Was war das Letzte, worüber ihr euch unterhalten habt?«, fragte ich. »Weißt du das noch?«
    Finn überlegte. »Die Narnia-Filme«, sagte er. »Die neuen. Er hat mich gefragt, ob ich den ersten kenne, und ich kenne sogar den zweiten, den hab ich auf DVD, und wir haben darüber geredet, dass wir den mal zusammen gucken müssen. Peter meinte noch, er guckt mit, weil er den auch noch nicht kennt. Und dann hat David gesagt, dass er eine Weile weg muss und dass wir den zweiten Film gucken, wenn er wieder da ist.«
    »Wohin weg?«, fragte ich.
    Finn zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
    Er fegte die Legoteile vom Tisch in seine Hand und betrachtete sie einen Moment lang, einen Haufen aus zerstörter Technik oder aufbaubarer Technik, je nachdem. Ich stand auf und bedankte mich für den Kaffee, den ich nicht getrunken hatte. Ich bedankte mich auch bei Finn, obwohl ich nicht wirklich mehr wusste als vorher.
    »Sie können den roten Pullover mitnehmen?«, sagte Finns Mutter in der Tür. »Soll ich ihn suchen? Er ist gewaschen? Und die Jeans von David?«
    »Ja, danke, ich … ein andermal«, erwiderte ich.
    Als ich den schmalen Weg zum Gartentor entlangging, hörte ich durch ein angelehntes Fenster, wie Finns Eltern etwas zueinander sagten. Sie sprachen nicht, sie zischten, beunruhigend schlangengleich, es war ein verhaltener Streit, den sie nicht in meiner Hörweite austragen wollten. Vielleicht stritten sie, weil Finns Mutter die Hand von Finns Vater nicht mochte, die sie dauernd zum Schweigen brachte. Vielleicht stritten sie, weil Finns Vater fand, Finns Mutter sollte sich nicht einmischen. Ich fuhr über die ultramarinblau lackierte Oberfläche einer Gartenkugel neben dem Tor und war auf einmal nicht länger eifersüchtig auf die Perfektion dieser so familiären Familienmitglieder. Auf einmal taten sie mir leid.
    Sie waren gar nicht besser als ich, nur glatter. Und irgendwo unter der glatten, lackierten Oberfläche genauso verzweifelt.
    Ich stieg ins Auto und fuhr die freundliche Straße zwischen den freundlichen Bilderbuchhäusern entlang. Als ich in den Rückspiegel blickte, sah ich Finn vor dem Haus seiner Eltern stehen, mitten auf dem Parkplatz, und mir nachsehen. Er hob die Hand, wie um mir zu winken. Aber ich glaube, es war David, dem er wirklich winken wollte.
    Ich würde ihm Finns Gruß aus der perfekten Einfamilienwelt überbringen. Oder – seinen Hilferuf. Komm zurück, David, komm zurück und denk dir neue merkwürdige Projekte aus, die wir zusammen machen können. Was ich im Rückspiegel hinter mir ließ, waren in Wahrheit lauter private Höllen mit perfekten Gartenzäunen. Futter, dachte ich, für Davids Liste.

11.
    An diesem Abend guckte ich mir den ersten der neuen Narnia-Filme zu Hause auf dem Computer an.
    Ich guckte ihn mir nicht alleine an. Ich sah ihn zusammen mit Celia und ihrem Baby. Wobei das Baby den Film mehr oder weniger verschlief.
    Ich hatte mein Versprechen, Celia beim Baby-Baden zu helfen, völlig vergessen, und als es mir einfiel, bekam ich ein schrecklich schlechtes Gewissen. Weshalb wir erst das Baby badeten und anschließend Kartoffelchips aßen und den Film sahen. Celia war etwas verwundert über meine plötzliche Anhänglichkeit, aber sie freute sich darüber.
    Celia war einfach, viel einfacher als Menschen wie Finns Mutter mit ihren ständigen Fragezeichen oder

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