Paradies für alle: Roman (German Edition)
und es würde dauern.
Aber es funktionierte.
Das erste Wort hieß R – n –
René.
Werkstattbericht – Eintrag 4
29. 11. 2011
René ist der Nächste, den ich auf die Liste gesetzt habe.
Es sind aber noch zwei andere Punkte auf der Liste ergänzt worden.
Liste, neu:
Kittelschürzenfrau
Herr Wenter
Tielows Hund
René
Die Kühe
Ich werde das im Folgenden ausführlicher erklären.
Falls Sie das nicht wissen: Seit meinem letzten Bericht sind vier Wochen vergangen. Es sind zweieinhalb schreckliche Dinge geschehen, pro Woche 1,25. Das bedeutet, dass pro Jahr bei 52 Wochen im Schnitt 65 schreckliche Dinge geschehen. Wenn man bedenkt, dass es auch schreckliche Dinge gibt, die ich nicht sehe, dass also insgesamt mehr Dinge geschehen, kommt man zu dem Schluss, dass es sinnlos ist, ein Diagramm hierzu zu erstellen.
Die erste schreckliche Sache geschah am letzten Mittwoch. Ich war auf dem Weg zur Tarzanschaukel, weil ich Lotta gesagt hatte, ich würde sie nach der Schule dort treffen. Sie hatte mir in der letzten Zeit so viel mit der Werkstatt geholfen, dass ich ihr versprochen hatte, wieder einmal mit ihr zu schaukeln.
Ich kam an Tielows Grundstück vorbei, und dort bellte Tielows Hund.
Erst dachte ich, er würde meinetwegen bellen, aber er bellte in eine andere Richtung, nämlich zu Tielows Obstbäumen hin. Der größte Ast des Kirschbaums wippte auf und ab, als hätte dort gerade noch jemand gesessen und nachgesehen, ob Tielows Kirschen bald reif genug waren, um sie zu klauen. Was sie nicht waren, sie waren noch grün, aber das ist unwichtig, denn in diesem Moment riss Herr Tielow die Tür auf und rannte auf seinen Hof hinaus, wobei Hof ja in diesem Fall eher ein kleines Stück festgetretene Erde ist und ein alter Tisch mit einem Aschenbecher.
Herr Tielow trug eine verblichene grüne Arbeitslatzhose, deren einer Träger herunterhing, und ein graues Flanellhemd mit den Nähten nach außen. Er sah aus, als wäre er gerade auf dem Klo gewesen und hätte keine Zeit gehabt, sich ganz anzuziehen.
»Halt’s Maul, Mistköter!«, brüllte er. »Kann man nicht einen Moment seine Ruhe haben! Was kläffste denn jetzt wieder, häh?«
Er hob einen Stein auf, und ich duckte mich unwillkürlich, als er den Stein nach dem Hund warf, aber das Drahtgitter des Zwingers war im Weg, der Stein prallte ab, und das machte Herr Tielow erst so richtig wütend.
»Ja, denkste!«, schrie er. »Denkste, da drin biste sicher! Wart nur … dir werd ich beibringen, mir die Ohren vollzukläffen!« Damit öffnete er die Zwingertür, und jetzt hörte der Hund auf zu bellen und wich zurück in die hinterste Ecke des Zwingers. Herr Tielow löste den Haken der Kette, es war so eine richtige schwere Eisenkette, und zog. Der Hund sträubte sich, aber das nützte ihm nichts, Herr Tielow war stark und der Hund sehr mager. Schließlich hatte er ihn ganz zu sich herangezogen. Sein Gesicht war rot vor Anstrengung und vor Wut. »Mistköter!«, rief er wieder, und dann hob er mit der freien Hand das lose herabhängende Ende der Kette auf und holte damit aus. Ich schloss die Augen. Ich hörte den Hund aufjaulen, einmal, zweimal, dreimal.
Herr Tielow schrie immer noch irgendwas.
Dann war da eine Frauenstimme, »Heinz«, sagte sie, »Heinz, nun lass doch den Hund, wo bleibst du denn«, und ich machte die Augen wieder auf. In Tielows Tür stand eine Frau, die nichts anhatte. Sie hielt einen Bettbezug vor ihrer Brust gerafft, und weil der Bettbezug weiß war, sah es aus wie ein sehr merkwürdiges Hochzeitskleid.
Ich kenne die Frau, sie wohnt gleich am Dorfeingang, das ist die Marie, alle sagen nur »die Marie«, wenn sie von ihr sprechen. Sie ist ziemlich dick und hat dunkelrot gefärbte Locken mit einer hellroten Strähne vorne. Sie hat auch eine Tochter, die ist sechzehn oder siebzehn.
Herr Tielow drehte sich zur Marie um und knurrte.
»Hörst dich schon an wie der Hund«, sagte die Marie. »Komm wieder rein, ist windig, ich frier.«
Da stieß Tielow mit dem Fuß, der nur in einem grauen Socken steckte, nach dem Hund, und ich sah, dass der Hund auf dem Boden lag.
»Ja, jetzt biste still«, sagte Tielow zu dem Hund. »Lieg nicht so blöd rum da, steh wieder auf. Solln denn die Leute denken.« Er blickte auf, um nachzusehen, ob jemand da war, der etwas denken konnte, und da sah er mich.
»Gaff nicht so blöde«, sagte er.
»Sie dürfen das nicht«, sagte ich.
»Was denn?«, fragte Herr Tielow. »Das mit dem Hund? Das ist mein Hund, da hat mir keiner was zu
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