Paradies für alle: Roman (German Edition)
sagen.«
Damit kam er zu dem Törchen, das sein Grundstück vom Weg trennte. Das Törchen war sehr niedrig. Meine Füße wollten weglaufen, aber ich ließ sie nicht. Ich blieb stehen. Tielow kniff die kleinen Augen zusammen und fuhr sich mit einer seiner großen Hände durch das sehr kurz geschnittene Haar.
»Sie dürfen Ihren Hund nicht schlagen«, sagte ich noch einmal. »Es gibt Gesetze, die sagen, dass Sie das nicht dürfen.«
»Und du bist wohl die Polizei«, sagte Herr Tielow. Dann stieg er mit einem Sockenfuß über das Tor, und es wäre lustig gewesen, dass er nur Socken anhatte, wenn es ein Kasperlestück für Kindergartenkinder und er der Räuber Hotzenplotz gewesen wäre. Aber so, wie es war, war es überhaupt nicht lustig. Ich dachte, dass ich doch hätte weglaufen sollen. Herr Tielow stieg mit dem zweiten Sockenfuß über das Tor und packte mich am Arm. Er roch verschwitzt.
»Du kleiner Klugscheißer«, sagte er ganz leise.
»Heinz!«, rief die Marie von der Tür her.
Und dann kam sie über den Hof, nur in das weiße Bettlaken gewickelt, und zog Herrn Tielow von mir weg. Er ließ los und knurrte noch einmal, aber er ließ sich von ihr nach drinnen mitnehmen. Als die Tür hinter ihnen zuschlug, zuckte der Hund auf dem Boden mit einer Vorderpfote. Ich rieb meinen schmerzenden Oberarm dort, wo Tielow mich gepackt hatte, und sah zu, wie der Hund sich hochkämpfte.
Unsere Blicke trafen sich. Er hatte ein braunes und ein blaues Auge; mit dem braunen sah er mich an und mit dem blauen schien er an mir vorbeizusehen in den blauen Himmel.
Lotta saß auf der Baumwurzel bei der Tarzanschaukel, die Schaukel zwischen den Beinen, und baumelte mit den Füßen, als ich ankam.
»Lotta«, sagte ich. »Wir klauen Tielows Hund.«
»Ist gut«, sagte Lotta und stieß sich ab, und dann schwang sie mit der Schaukel in einem weiten, weiten Bogen über den Graben, den wir immer »den Abgrund« nennen.
»David, David, David und«, sang sie, » – ich klauen Tielows Hund.«
Das reimte sich nicht besonders gut, aber es passte zu Lotta.
Die zweite halbe, schreckliche Sache, die passiert ist, passierte drei Tage später.
Nämlich war Frau Hemkes Sohn da. Er hat mit uns geredet, mit Frau Hemke aber nicht, sie saß nur auf der kleinen Bank in ihrem Garten, die Hände im Schoß gefaltet, und hörte zu. Lotta hörte auch zu. Ihre Augen waren am Anfang groß und am Ende ärgerlich.
Sie hat gesagt, Herr Hemke, also Herr Hemke junior, ist ein Arschloch.
Es war strantegisch vielleicht nicht ganz klug, dass sie das zu Herrn Hemke (junior) gesagt hat.
Wir waren dabei, die Obstbäume zu beschneiden, als Herr Hemke mit dem Auto ankam. Er wohnt ziemlich weit weg, so weit, dass er nur selten zu Besuch kommen kann.
Die alte Frau Hemke saß auf ihrem Küchenstuhl auf der Wiese und sagte uns, welche Äste wir abschneiden sollten. Ihre faltigen Wangen waren rot von der frischen Herbstluft, und ich glaube, sie hatte ziemlich viel Spaß. Lotta kletterte mit einer kleinen Heckenschere in einem der Bäume herum, und ich stand mit einer größeren Schere unten.
»Was glaubt ihr eigentlich, was ihr da tut?«, fragte Herr Hemke und stand plötzlich hinter uns.
»Wir bringen den Garten auf Vordermann«, erklärte ich. »Wenn wir das tun, braucht Frau Hemke nicht auszuziehen.«
»Ach so«, sagte Herr Hemke und schüttelte den Kopf, mindestens fünf Mal hintereinander. »Komm runter da«, sagte er zu Lotta. »Und jetzt hört mir mal zu, ihr beiden. Die Leute im Dorf haben mir erzählt, dass ihr seit einer Weile herkommt, und ich muss euch sagen, dass es nichts nützt.« Dann sagte er viele Dinge in einer sehr ungeordneten Reihenfolge, woran man sieht, dass er nicht übermäßig intelligent ist, auch wenn er ein Jackett anhatte und so tut, als wäre er etwas Besseres als seine Mutter mit ihrer Kittelschürze.
Hier sind die Dinge, die er sagte, besser (von mir) geordnet:
Erstens – Frau Hemke braucht nicht nur Hilfe im Garten.
Zweitens – Sie braucht auch Hilfe im Haushalt, mit dem Putzen und Einkaufen und Kochen, damit sie nicht verhungert oder aus Versehen das Haus anzündet mit dem Gasherd.
Drittens – Und sie braucht Hilfe mit sich selbst. Sie hat Diabetes, was Zuckerkrankheit bedeutet, und ein offenes Bein, was eine Wunde am Bein bedeutet, die nicht heilt, weil zu viel Wasser eingelagert ist, was wiederum irgendwie aus dem Blut kommt, es macht die Haut ganz aufgedunsen und man muss Bandagen darumwickeln.
Viertens – Lotta und ich sind kein
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