Paradies für alle: Roman (German Edition)
Pflegedienst.
Fünftens – Ein amulanter Pflegedienst, der also zu Frau Hemke nach Hause kommt, kostet Geld, und der Mensch vom amulaten Pflegedienst wäre auch immer nur kurz da und hätte keine Zeit, sich um andere Sachen zu kümmern wie um das Putzen oder das Nicht-Anzünden des Hauses. Seniorenheime sind teuer, aber einen Pflegedienst und jemanden für den Haushalt zu bezahlen und jemanden für das Essen und jemanden, der immer guckt, ob Frau Hemke daran gedacht hat, ins Bett zu gehen oder den Herd auszumachen, das alles zusammen wäre wohl noch teurer.
Und Herr Hemke hat lange gesucht, um überhaupt ein Heim zu finden, das man sich leisten kann.
Sechstens – Das Haus und der Garten müssen verkauft werden, sie haben ja eine schöne Lage so in Meeresnähe, und mit dem Geld kann Herr Hemke dann das Seniorenheim bezahlen.
Siebtens – Das Geld, was übrig bleibt, gehört Herrn Hemke als Erbe. Es gehört ihm gleich, nicht erst, wenn seine Mutter stirbt, was ja noch dauern kann.
Achtens – Das Seniorenheim Friedensstift hat Meerblick vom fünften Stock aus.
»Aber Frau Hemke will überhaupt keinen Meerblick vom fünften Stock«, sagte Lotta, und dann sagte sie das mit dem Arschloch, und dann lief das Ganze irgendwie schief.
Herr Hemke fand, wir müssten nach Hause, und zwar sofort, und die alte Frau Hemke versteckte ihr Gesicht in ihren Händen. Es war alles überhaupt nicht schön.
Ich habe mit Lotta geschimpft, weil sie »Arschloch« gesagt hat, weil es nichts nützt, Leute zu beschimpfen, und Lotta hat gesagt, sie hat aber recht und ist auf eine Weide geklettert und dort bis zum Abend sitzen geblieben.
Ein paar Tage später haben wir uns wieder vertragen, aber jetzt müssen wir Frau Hemkes Problem anders lösen, nämlich brauchen wir Geld, für den Pflegedienst, und ein gutes Argumend für Herrn Hemke, und bis wir beides finden, kann es dauern.
Beim Herumlaufen und Nachdenken bin ich am Haus der einsamen Spaziergängerin vorbeigekommen, die auch in ihrem Garten saß, wie Frau Hemke. Aber ihr Garten war voll mit Herbstblumen. Er duftete wie eine ganze Parfümhandlung, und mitten zwischen den duftenden Blumen saß die einsame Spaziergängerin und lächelte und las ein Buch. Da dachte ich, dass diese Gartenbesitzerin wenigstens glücklich ist und wir uns um sie nicht zu kümmern brauchen.
Ich wünschte, ich wäre schon am Ende mit dem Berichten der schrecklichen Dinge, jetzt kommt aber das Schrecklichste, und das ist René.
René ist nicht schlau, aber ich mag ihn. Er will nie etwas von einem, nickt nur, wenn man vorbeikommt, und ist immer freundlich. Obwohl er zu viel raucht und auch ein bisschen zu viel trinkt, aber er hat ja sonst nichts im Leben, was ihm Spaß macht.
Vorgestern hat René ein Fahrrad gefunden. Es war Samstag, und er schob das Fahrrad auf der großen Straße entlang und strahlte. Das Rad war dunkelblau-metallic, ein Herrenrad. Nicht neu, aber noch brauchbar.
»Wo hast du das denn her?«, fragte ich.
»Teich«, antwortete René. »Hab ich mir geholt. Lag im Wasser.«
»Das Fahrrad lag im Löschteich?«
»Ja.« Er nickte eifrig. »Bei Feuerwehr. Bin über Sperrung geklettert, hab’s rausgeholt. Gehört kein. Jetzt gehört’s mir.«
Und er schob das dunkelblau-metallic glitzernde Fahrrad weiter die Straße entlang, und ich dachte, dass es doch in Lottas Paradies Fahrräder für jeden geschenkt gab und wir vielleicht die Murmel schon ein ganzes Stück in die richtige Richtung gerollt hatten, wenn Fahrräder im Löschteich herumlagen. Obwohl ich natürlich wusste, dass das Zufall war. Vermutlich hatte jemand das Rad woanders geklaut und dann in den Teich geworfen.
Am Abend kam ich alleine vom Wald zurück, ich hatte Rosekast besucht und wir hatten zusammen Schach gespielt und aufs Wasser gesehen, und eigentlich war es ein sehr friedlicher Tag gewesen.
Aber dann sah ich René und das Fahrrad wieder. Es war schon dämmerig. René stand mit dem Rad mitten auf der Straße, dort, wo das Bushäuschen ist. Im Bushäuschen saßen fünf Gestalten mit Kapuzenpullis und Bierflaschen in den Händen. Falls Sie das nicht wissen: Die älteren Jungs aus dem Dorf sitzen dort oft, in allen Dörfern, die Bushäuschen sind quasi ein soziales Begegnungszentrum, nur nicht für alte Leute, sondern für junge.
Eine der Gestalten, die an diesem Abend dort saßen, war Marcel, Lottas Bruder.
»Glaub ich nicht«, sagte René gerade, als ich näher kam. »Ist nicht deins. War in Löschteich.«
»Glaube ich aber wohl«,
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