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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Waren sie in der Milch meines Traums ertrunken? Und war das meine Schuld, weil ich die Kühe befreit hatte?
An diesem Tag meldeten sich drei Kinder bei mir, die den Hund haben wollten. Keines schien mir geeignet dafür, einen Hund zu haben. Genauso wenig wie die Kinder, die sich an den Tagen davor gemeldet haben.
Als ich nachmittags aus dem Schulbus stieg, wartete Lotta schon am Bushäuschen, die Hände tief in den Taschen vergraben. Tatsächlich schwebten erste Schneeflocken durch die Luft.
»So«, sagte ich. »Ich bringe nur eben meine Tasche nach Hause, dann gehen wir los, melken. Hoffentlich finden wir die Kühe schnell, aber ich glaube, Kühe bleiben zusammen, und wir haben ja ihre Spuren …«
»Ich glaub nicht, dass wir melken«, meinte Lotta. »Das halbe Dorf ist im Wald und sucht, zusammen mit der Polizei. Auf dem Hof ist auch die Hölle los. Komm.«
Auf dem Weg erzählte sie mir, dass sich wohl zwei der Kühe in den Garten der einsamen Spaziergängerin verirrt und damit angefangen hatten, die Winterabdeckung ihrer Blumenbeete wegzufressen, und eine andere Kuh hatte im Bushäuschen gestanden und sich von niemandem verjagen lassen. Die übrigen Kühe waren verschwunden. Mein Herz klopfte sehr schnell auf dem Weg zum Bauernhof; ich hoffte, die Kühe hätten es geschafft, zu entkommen und sich zu verstecken, und ich glaube, Lotta hoffte das auch.
Wir bogen dann doch nicht zum Hof ab, wo eine Menge Autos geparkt waren und eine Menge Leute durcheinander redeten, sondern gingen weiter, zum Wald, weil wir von da auch Stimmen hörten. Die Luft war kalt und klar und trug die Geräusche weit, und Lotta sagte: »Die sind bei der Tarzanschaukel, die Stimmen, oder? Ob die Kühe auch da sind?«, und ich sagte: »Ich will doch nicht hoffen, dass sich die übrigen zwölf von ihnen gerade darum streiten, wer als Nächstes mit Schaukeln dran ist.«
Bei der Tarzanschaukel standen Hemke junior, der wieder wegen was mit dem Haus und den Reparaturen zu Besuch war, und Herr Tielow und der Milchbauer, von dem ich den Namen noch immer nicht weiß, und zwei Polizisten, und ein paar der Jungs von der Bushaltestelle. Ich guckte von der kleinen Brücke hinunter in den Graben, wo die Schaukel leer hin und her schwang. Die Kuh – es war nur eine – lag darunter.
Neben ihr kniete ein Mann in einer grünen Waldjacke mit einem Metallkoffer. Auf dem Koffer klebte ein Aufkleber mit einem roten Kreuz. Der Mann war Arzt, Tierarzt wahrscheinlich.
Keiner der Männer bemerkte uns, weil alle die Kuh ansahen und diskutierten. Offenbar war sie in den Graben gestürzt und kam nicht mehr hoch. Der Tierarzt musste ausweichen, als die Kuh mit einem Vorderhuf ausschlug, und schließlich gab er es auf, näher an die Kuh heranzukommen und kletterte aus dem Graben, die steile Erdwand hoch, was schwierig war mit dem Koffer.
Als er oben war, sagte er, sie hätte sich höchstwahrscheinlich beide Hinterbeine gebrochen. Der Bauer ohne Namen sagte »Wie kriegen wir sie da heil raus?«, und der Tierarzt sagte, »gar nicht«, und dann sah ich, dass da noch jemand stand, ein bisschen abseits. Es war Jarsen. Er trug auch so eine dicke grüne Waldjacke, und er trug noch etwas, nämlich ein Gewehr.
Der Tierarzt nickte ihm zu und sagte zu dem Bauern, es wäre die einzige Möglichkeit, und der Bauer fluchte. Ich sah noch immer die Kuh an. Ihre Augen waren ganz verdreht, man sah das Weiße darin hervortreten wie Eischnee, und die Zunge hing ihr aus dem Maul. Ihre gebrochenen Hinterbeine lagen in lauter Kuhmist, ihr helles Fell war ganz verschmiert davon. Ihr Schwanz schlug hin und her, und sie versuchte immer noch, mit den Vorderbeinen Halt zu finden. Ich glaube, sie versuchten das schon seit sehr langem. Ich glaube, sie hatte furchtbare Angst.
Jarsen hob die Flinte, zielte und schoss. Es war sehr laut.
Lotta drehte sich um und hielt sich eine Hand über die Augen, aber ich guckte hin. Ich sah, wie die Kuh noch einmal den Kopf herumwarf und wie ihre Augen stehen blieben, wie die Zeiger einer Uhr, es war seltsam. Das Blut lief aus der Kuh heraus. Und die Schneeflocken fielen, und ich hörte, dass die Vögel im kahlen Dezemberwald verstummt waren, obwohl ich vorher nicht gehört hatte, dass sie gesungen hatten.
»Es war die fünfte Dimension«, sagte ich in die Stille hinein. »Die fünfte Dimension war zu viel für diese Kuh.«
Alle starrten mich an, und ich bekam Angst, sie könnten begreifen, was ich meinte, und dass wir die Kühe befreit hatten. Sie begriffen aber

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