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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Samstag gebeten hatte, auf mich aufzupassen.
    Sie war der einzige Mensch, der es in letzter Zeit geschafft hatte, meine unsichtbare Mauer zu erklimmen, obwohl ich nicht wusste, wie.
    Und dann sagte ich gerade deswegen nichts über die Zigarette. Weil sie dann vielleicht nie wieder einen Fuß in Richtung der Mauer setzen würde, und weil ich mir zwar einerseits wünschte, sie würde mich in Ruhe lassen, mir aber andererseits wünschte, sie würde auf meiner Seite von der Mauer hinunterspringen und mich finden. Es war überraschend kompliziert, über Lotta nachzudenken.
    »Ist«, begann ich, » … war das … die Tarzanschaukel?«
    Sie nickten beide, während sie zu mir aufsahen, Livia noch immer misstrauisch, aus stark umschminkten Augen, Lotta jetzt mit einem so unergründlich leeren Blick wie stets. Sie bemühte sich nicht mehr, die Zigarette zu verstecken.
    »Wer hat sie abgeschnitten?«, fragte ich, mehr, um etwas zu fragen.
    »Jarsen«, antwortete Lotta. »Hat David dir das nicht erzählt?«
    »Nein«, sagte ich. »Warum hat Jarsen das getan?«
    Lotta musterte mich eine Weile, als müsste sie über etwas nachdenken. Dann zuckte sie die Achseln. Livia zuckte ebenfalls die Achseln. Sie trug ein hübsches Kleid, eigentlich erstaunlich hübsch, es sah beinahe wertvoll aus. Nicht dafür gemacht, mit einer kleinen Schwester auf rauhe, erdige Wurzeln im Wald zu klettern.
    »Na ja«, sagte ich. »Ich geh mal weiter … nach Hause …«
    »Kann ich mitkommen?«, fragte Lotta und drückte die Zigarette auf der Wurzel aus, auf der sie saß.
    Ja, dachte ich, bitte. Aber mein Mund sagte »Nein«, weil er es gewohnt war, nein zu sagen.
    Ich fühlte den Drang, mich zu rechtfertigen, als ich ihr enttäuschtes Gesicht sah. Aber mein nein-sagender Gewohnheitsmund hatte recht. Warum sollte ich mich dafür rechtfertigen, dass ich ein fremdes Kind nicht mit nach Hause nahm?

    Diesmal gelang es mir rascher als sonst, Davids neuen Code zu knacken. Das lag daran, dass es kein neuer Code war. Die Buchstaben- und Zahlenkombinationen waren mir gleich bekannt vorgekommen, und als ich sie länger ansah, begriff ich: Dies war der gleiche Code wie der allererste. Ich brauchte meine Finger nur um eine Tastenreihe nach oben zu verschieben.
    Und ich begriff auch, was das bedeutete: David hatte die Zeit gefehlt, sich etwas Neues auszudenken: Die Paradieswerkstatt hatte seine gesamte Zeit aufgefressen. Der nächste Eintrag war von Mitte Dezember.
    Draußen war der Himmel dunkel geworden, als erinnerte auch er sich an den Winter. Ich zog einen Pullover über und machte Davids Schreibtischlampe an. Der Regen trommelte jetzt gegen die schrägen Fenster. Zu meinen Füßen hatte sich der Hund zusammengerollt.
    Wir waren wie in einer Höhle, geborgen im warmen Kreis der Lampe, während um uns Dunkelheit und Kälte die Welt verschluckten. Wenn ich es gewagt hätte, über meinen Schatten zu springen und »ja« zu Lotta zu sagen, hätte sie mit uns hier sitzen können. Sie hätte unter dem Tisch gesessen, weil es zu Lotta passte, an seltsamen Orten zu sitzen, und sie hätte natürlich Kaugummi gekaut, zur Abwechslung vielleicht einen neongelben. Ich merkte, dass ich lächelte, als ich daran dachte.
    Aber Lotta war nicht da, hier waren nur der Hund und ich.
    Die Schatten sammelten sich schon außerhalb des kleinen, warmen Lichtkreises, sie griffen nach uns, und ich musste dem Drang widerstehen, den Hund hochzuheben und auf meinen Schoss zu ziehen, um seine Nähe zu spüren. Wäre er ein kleinerer Hund gewesen, hätte ich es getan.

Werkstattbericht – Eintrag 7
17. 12. 2011

Die Kühe waren große, schwarze Dinge in der Nacht. Man konnte nicht sehen, dass sie Kühe waren, sie hätten theroretisch alles sein können, Steine oder Riesen oder außerirdische Maschinen.
Es war nicht besonders schwierig, die Tür zum Stall zu öffnen. Keiner hatte gemerkt, dass Celia den Schlüssel genommen hatte, jedenfalls sagte Celia »hat keiner gemerkt«.
Das Problem war, dass die Kühe nicht gingen.
Sie blieben einfach in ihren Boxen stehen, auf dem Drahtgitterboden, und schnaubten in die Dunkelheit, und das war alles.
»Hey, Kühe«, flüsterte ich. »Ihr müsst hier raus. Jetzt. Schnell. Das ist eure Chance, versteht ihr? Eure Chance für Freiheit!« Und ich dachte plötzlich an Rosekast und seine logischen Schlüsse, nämlich den, dass ich, wenn, dann eine ungewöhnliche Kuh war. Eine gewöhnliche Kuh dachte womöglich nicht über Freiheit nach. Einer

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