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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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gar nichts. »Das ist nur der Sohn der Malerin«, sagte Hemke Junior zu dem Tierarzt. »Der ist nicht ganz normal. Was tun wir jetzt mit der Kuh?«

Die anderen Kühe sind nicht wiedergefunden worden.
Ich stelle mir gern vor, dass sie es geschafft haben. Sie haben sich eine Weile alleine durchgeschlagen, als kleine Herde im Wald, bis sie zu einer anderen Herde gestoßen sind, einer Herde glücklicher Kühe, die tagsüber auf einer schönen Wiese stehen und jeden Abend in einen warmen Stall heimkehren und gemolken werden. Sie sind sozusagen einem anderen Bauern zugelaufen, einem netten Bauern, der ihnen das Fell striegelt und freundliche Worte für sie hat.
Es schadet ja nichts, sich das vorzustellen.
An dem Tag allerdings, an dem Jarsen die Kuh erschoss, bin ich nach Hause gerannt und war sehr traurig und sehr böse, weil nichts mit meinem Paradies so klappte, wie ich das wollte. Lovis hatte Kekse gebacken und wollte, dass ich ihr helfe, sie zu verzieren, weil doch Advent ist, aber ich habe meine Zimmertür hinter mir zugeknallt. Ich wollte um die Kuh weinen und dann hinuntergehen und Lovis von ihr erzählen, weil sie wahrscheinlich wieder gemalt und die Aufregung im Dorf nicht mitbekommen hatte. Ich machte sogar eine Liste der Dinge, die ich Lovis noch erzählen wollte. Über die Werkstatt wollte ich eigentlich nichts erzählen, und es war schwer, zu entscheiden, was ich in diesem Fall erzählen konnte, aber mir war an diesem Tag nach Erzählen.
Als ich fertig war mit Weinen und hinunter in die Küche ging, war Lovis nicht mehr da. Sie hatte die Kekse selbst verziert, es waren jetzt wertvolle, abstrakte Kekse, und auf dem Tisch lag ein Zettel, auf dem stand, sie wäre zu ihrer Galerie gefahren.
Ich packte alle Kekse in eine Dose und ging damit zu Frau Hemke, um wenigstens einer Person auf meiner Liste zu helfen. Frau Hemke wollte aber keine Kekse essen. Sie saß in einem Sessel vor einem offenen Koffer und überlegte, was sie einpacken sollte, wenn sie ins Seniorenheim Friedensstift ziehen musste.
»Zum ersten Ersten«, sagte sie, »ist es so weit. Da wird was frei. Wie die das wohl wissen … im Voraus … dass dann jemand stirbt? Komisch … ich möchte alles einpacken, alles, weißt du, aber das geht ja nicht …«
»Bis zum ersten Ersten haben wir genug Geld für den amulanten Pflegedienst«, sagte ich. »Ganz sicher. Die Leute spenden doch wie verrückt um die Weihnachtszeit.«
»Ich glaube, ich lasse den Koffer leer«, sagte Frau Hemke. »Das, was alles einzupacken am nächsten kommt, ist, gar nichts einzupacken. Man braucht keine Auswahl zu treffen.«
»Jetzt hören Sie mir doch mal zu!«, sagte ich und stampfte mit dem Fuß auf.
»Leer ist am besten«, sagte Frau Hemke und schloss den Koffer mit einem haarfeinen Lächeln.
Da ging ich samt Keksen wieder nach Hause und warf die Liste der Dinge, die ich Lovis erzählen wollte, weg, weil es dem Bedürfnis, alles zu erzählen, wohl am nächsten kommt, gar nichts zu erzählen.

    Ich sah von der Schreibmaschine auf und starrte eine Weile das Fenster an, gegen das der Regen noch immer schlug. Ich erinnerte mich an die Kekse, und daran, wie er die Tür zugeknallt hatte. Es war nur eine von vielen zugeknallten Türen gewesen in den letzten Monaten, und ich hatte nie verstanden, was ihn so wütend gemacht hatte. Jetzt begann ich, es zu verstehen.
    Es war die Paradieswerkstatt gewesen, in der nichts so funktioniert hatte wie geplant.
    Wie gerne hätte ich die Liste gesehen, die er geschrieben hatte! Die Liste der Dinge, die er geplant hatte, mir an jenem Abend zu erzählen! Und die andere Liste, das Negativ jener Liste: Die Dinge, die er mir so entschlossen verschwiegen hatte.
    Wenn ich damals nicht zur Galerie gefahren wäre, dachte ich, um über graue Kästchen zu sprechen, was wäre geschehen? Hätte ich ihm helfen können mit den Kühen, mit Frau Hemke, mit seinem Paradies? Aber die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, und keines der Wenn-ichs war sinnvoll.
    »Man könnte den Bauern vielleicht überreden, eine Weide zu kaufen«, sagte ich laut. »Oder ihm eine schenken. Land kostet hier ja gar nichts. Man müsste ihn überzeugen, dass es finanziell lohnend ist, sich ein Biosiegel zu besorgen … wie immer man das macht … Dann wären die Kühe draußen, und er könnte die Milch teurer verkaufen … Mehr Aufwand natürlich, aber auch mehr Einkommen …«
    Und dann ging ich hinunter in die Küche, gefolgt von dem verschlafenen Hund, und buk zwei Bleche Kekse

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