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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Damals hatte ich mich gewundert, warum er sie sich so sehnlich gewünscht und sie dann kaum benutzt hatte. Jetzt wusste ich es. Er hatte damals mit der Werkstatt zur Verbesserung der Allgemeinen Gerechtigkeit begonnen. Er hatte schlichtweg keine Zeit gehabt für Dinge wie Kletterwände. Wenn er wieder gesund würde, dachte ich, würde ich mit ihm auf die Kletterwand klettern. Sicher würde ich mich furchtbar dumm dabei anstellen, und wir konnten eine Menge zusammen lachen und – nein. Ich hatte sein Bein vergessen. Er würde nie wieder auf die Wand im Schuppen klettern.
    Ich schluckte, schloss einen Moment die Augen und atmete tief durch. Dann drehte ich die Quittung um, und auf die Rückseite schrieb ich:
    Herr Rosekast,
    ich war hier, um mit Ihnen zu reden. Ich bin Davids Mutter. Es wäre nett, wenn Sie mich anrufen oder anderweitig kontaktieren könnten. Lovis Berek.
    Ich fügte unsere Nummer und Adresse hinzu, faltete den Zettel einmal in der Mitte und steckte ihn in den Briefkasten am Gartentor.
    »Komm, Hund«, sagte ich. »Gehen wir. Wir können hier nicht sitzen bleiben und Wurzeln schlagen, bis er wieder da ist, er kann sonst wo sein. Beim Einkaufen, auf einem Besuch, verreist …«
    Verschwunden, fügte ich nicht hinzu. Verschwunden wie die Marie und wie David zwischenzeitlich. In diesem Fall, dachte ich – wenn Rosekast tatsächlich ebenfalls verschwunden war, war ich gespannt, wo er wieder auftauchen würde.

    An diesem Tag erreichte ich den Waldrand an einer anderen Stelle als gewöhnlich. Einer Stelle, an der es Stimmen gab. Ich hörte sie, als ich das blassgoldene Licht des Frühlings durch die Bäume scheinen sah. Einen Moment lang blieb ich stehen und lauschte.
    »… mir zum Beispiel auch was von da schicken. So wie Kaugummis«, sagte die eine Stimme. Lottas Stimme.
    »Wenn ich Zeit dazu habe«, sagte die andere.
    »Was machst du denn den ganzen Tag, wenn du ausgezogen bist?«
    »Keine Ahnung. Tausend Dinge. In Diskos gehen. Freunde haben. Arbeiten.«
    »Kaugummis schicken kannst du trotzdem«, sagte Lotta. »David würde das bestimmt machen. Wenn man von da, wo er ist, Kaugummis schicken könnte. Kann man aber, glaub ich, nicht.«
    »Ich dachte, er liegt im Koma, dein David.«
    »Eben«, sagte Lotta. »Aber es ist nicht mein David. Der gehört gar keinem. Irgendwie hat er sich am Schluss nich mal selber gehört, glaub ich, weil er so viel machen musste … Er gehörte einer Sache, die ich nich kapiere, einem höheren Dings, Prinzip, das kommt, glaube ich, von Prinz, und angefangen hat es auch mit einem Prinz …«
    »Einem höheren Prinzip?«, fragte die andere Stimme, die Livia gehörte, und lachte. Ihr Lachen klang nach einer seltsamen Mischung aus Mädchengekicher und Altfrauenbitterkeit. »Red nicht so philosophisch, du wirst mir ja unheimlich.«
    »Schickst du jetzt Kaugummis, wenn du weggehst?«, sagte Lotta. »Weil, na ja, wenn nicht, ich wüsste da was. Mit wem du dich triffst zum Beispiel. Wenn ich das zu Hause erzähle …«
    »Du kleines berechnendes Arschloch«, sagte Livia. »Wolltest du deshalb mit mir reden? Um mich zu erpressen? Das schmink dir gleich ab. Wenn du der Mama was erzählst, hau ich dich windelweich. Und schick dir keinen einzigen Kaugummi.«
    »Selber Arschloch«, sagte Lotta.
    Was für ein nettes Gespräch unter liebenden Schwestern, dachte ich und ging weiter. Ich sah die beiden nach ein paar Schritten, der Weg führte hier auf einem kleinen hölzernen Steg über einem tiefen Graben, und dahinter lag gleich der Waldrand. An einer uralten, mächtigen Buche hing in den Graben ein Seil hinab. Lotta und Livia saßen auf der größten Wurzel der Eiche. Einer Wurzel, die man gut als Startpunkt hätte benutzen können, um an dem Seil zu schaukeln. Wenn ein Brett oder ein Ast daran gewesen wäre. Es war aber gar nichts daran.
    »Tag, Lotta«, sagte ich, und Lotta zuckte zusammen, ertappt, und fuhr herum. Livia drehte sich etwas langsamer um. Sie hielt eine Zigarette in der Hand mit den aufgeklebten langen Nägeln. Lotta hielt ebenfalls eine. Zwei liebende Schwestern, die sich zum Rauchen in den Wald zurückzogen. Nur, dass die eine vielleicht zwanzig war und die andere nicht älter als acht. Das ist nicht dein Kind, sagte ich mir streng, es geht dich nichts an, ob sie sich ihre Lungen mit acht Jahren kaputtraucht. Aber natürlich ging es mich etwas an, es war eine Illusion, dass Lotta mich nichts anging.
    Sie war Davids Freundin.
    Sie war das Kind, das Thorsten

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