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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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richtige Eingangshalle, komplett mit alten Säulen. Dort hing an der Wand das Bild einer Frau, riesengroß, »also vielleicht das Bild einer Riesin«, sagte Lotta. Die Riesin hatte langes, hellblondes Haar und trug ein weißes Sommerkleid. Sie stand in einem Garten; zwischen den Fingern hielt sie eine rote Blume. Sie war schön.
»Das ist seine Frau, wetten«, sagte Lotta. »Die weggelaufene. Frag mich, warum er das da hängen lässt.«
»Vielleicht liebt er sie immer noch«, sagte ich, und das klang wie direkt aus einem Kitschroman, aber die Welt der Erwachsenen ist manchmal nicht so weit von einem Kitschroman entfernt. Vielleicht wartete Jarsen darauf, dass die Frau auf dem Bild zurückkam. Seit zehn Jahren.
»Der Goldrahmen ist sicher was wert«, meinte Lotta mit erfahrenem Räuberblick. »Aber zu unhandlich.« Dann ging sie quer durch die Eingangshalle zu einem Garderobenbrett, an dessen verschnörkelten Haken lauter Jacken und Mäntel hingen, und griff nach etwas Grünem: Der Waldjacke, die Jarsen immer trug. Sie steckte ihre Hand in die Tasche der Jacke und zog triumphierend etwas Braunes heraus: Jarsens Portemonnaie. Es enthielt die erwähnten hundertzweiundfünfzig Euro.
»Die Bankkarte auch?«, fragte Lotta.
»Spinnst du?«, sagte ich. »Wir kennen doch die Geheimzahl gar nicht. Statistisch gesehen gibt es bei vier Ziffern eine unheimliche Anzahl von Möglichkeiten … Man könnte das ausrechnen …«
Doch Lotta hörte nicht mehr zu. Sie war schon auf dem Weg die Treppe hinauf, auf der ein weinroter Läufer lag, der ihre Schritte dämpfte. Ich glaube, sie war furchtbar neugierig, wie es in Jarsens Haus aussah, und ehrlich gesagt war ich auch furchtbar neugierig.
Außerdem gab es oben vielleicht etwas kleines Wertvolles, das sich ohne Umstände mitnehmen ließ.
Es gab eine Menge Dinge. Es gab Flure mit tausend Bildern und Räume voller Möbel und voller Kerzenleuchter, es gab Sofas und Sessel und weiche Teppiche und afrikanische Masken und australische Bumerangs und Regale voll mit Millionen von Büchern. Aber nichts davon schien mir dazu geeignet, es einzustecken und Lottas Brüdern zu geben, damit sie es weiterverkauften. Die Kerzenleuchter hingen von der Decke oder waren an der Wand festgeschraubt, und was will jemand hier mit einer afrikanischen Maske? Ein bisschen Silberbesteck wäre schön gewesen, dachte ich, oder Schmuck, aber vermutlich hatte die Riesin von dem Bild ihren Schmuck mitgenommen, als sie fortgegangen war. Aus einem der unübersichtlich vielen Räume drangen die schwerelosen Töne eines Klaviers. Dort saß er also und spielte, der reiche Herr Jarsen, und das war doch sehr zuvorkommend von ihm, da wir jetzt wussten, welchen Raum wir nicht betreten durften.
Wir fanden ein Büro mit mehreren Computern, und ich dachte, dass richtige Einbrecher die Flachbildschirme abmontieren würden, aber für uns waren sie zu groß und zu schwer.
»Ich muss mal aufs Klo«, flüsterte Lotta. »Ich glaube, das ist hier … Kommst du mit? Ich trau mich nicht alleine …« Sie stieß die angelehnte Tür auf, hinter der man einen Fliesenboden sah, und wir machten zusammen einen Schritt nach drinnen.
Es war kein Klo, in dem wir standen.
Es war ein riesiges, unendliches, überdimensiertes Badezimmer. Der Fliesenboden flackerte goldrot. Ich blinzelte. In dem riesigen, unendlichen Badezimmer brannten Kerzen. Es roch nach Seife. Und dann entdeckte ich die riesige, unendliche Badewanne, in der leise der Schaum knisterte. Es war aber niemand darin. Entweder plante Jarsen, zu baden, oder er hatte bereits gebadet. Ich sah mich um, während meine Augen sich langsam an das Kerzenlicht gewöhnten. Auf dem Boden lag ein Haufen Kleider: Hosen, ein Hemd, Socken, ein Kleid. Ein Kleid?
Lotta stieß mich an und zeigte zum Fenster, einem riesigen, unendlichen Fenster, sehr hoch und mit langen Vorhängen versehen. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, da niemand hereinsehen konnte, unten vor dem Fenster lag nur die schwarze Masse des kalten Winterwaldes, auf dessen eisigen Ästen sich das Mondlicht spiegelte.
Mitten vor dem Fenster stand jemand, mit dem Rücken zu uns. Zwei Jemande. Das Kerzenlicht ließ ihre bloße Haut seltsam rot wirken wie gekochte Krabben. Die eine Figur war Jarsen. Die andere war eine junge Frau mit langem, hellem Haar. Die Frau auf dem Bild, dachte ich. Sie ist zurückgekommen. Oder sie ist die ganze Zeit über hier und die Leute denken nur, sie wäre weggelaufen, sie versteckt sich hier – aber

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