Paradies für alle: Roman (German Edition)
Johannisbeerbüschen sitzen.«
Frau Hemke schob vorsichtig ihren Stuhl zurück, kam um den Tisch herum und ließ eine Strähne durch ihre Finger gleiten, die mir ins Gesicht hing.
»Habe ich Ihnen schon gesagt«, flüsterte sie, »dass Sie seine Haare haben?«
An diesem Nachmittag saß ich auf einer Bank am Meer, um den nächsten Eintrag zu lesen. Es war wieder ein Eintrag ohne Vokale, ich brauchte keine Schreibmaschine, um ihn zu entziffern.
Der Hund rannte die Promenade entlang, die Nase am Boden, hin und her, auf der Suche nach der Spur eines lange vergessenen Gedankens. Oder, wahrscheinlich, einer vergessenen Wurst.
Ich begann zu lesen.
Werkstattbericht – Eintrag 8
20. 1. 2012
Es geht voran mit der Werkstatt! Gut, die Kühe müssen wir irgendwann noch einmal von vorne befreien, nachhaltiger, aber ich arbeite an einer Lösung. Und die Idee mit Celia gehört zu den weltbesten Ideen, die ich bisher hatte.
Liste der weltbesten Ideen, die ich bisher hatte
(später einfügen, jetzt keine Zeit).
Es sind nämlich mehr Zeigefinger geworden, die jetzt auf Celia zeigen, irgendwie scheint es im Dorf mehr Zeigefinger zu geben als Leute. Nein, es hat ja jeder zwei, also – mehr als doppelt so viele. Auf einmal tauchen überall welche auf, Celia muss nur die Straße entlanggehen, schon ist jemand da und zeigt auf sie, und alle flüstern, und alle fragen, und alle raten, wer der Vater von ihrem Kind ist. Und alle sagen, dass sie wohl jetzt auch so ist wie ihre Mutter und zu jedem ins Bett steigt, der ihr Geld gibt, und der Mann mit dem Regenmantel, der das rechte Hetzblatt austrägt, hat neulich mitten auf dem Fußweg den Arm um sie gelegt und sie an sich gedrückt, und sein Kumpel auf der anderen Straßenseite hat gelacht.
Es nützt nichts, Fotos von den Leuten und den Zeigefingern zu machen, denn es ist ja nicht verboten, auf jemanden zu zeigen, und keiner schämt sich so richtig dafür, obwohl sie das sollten, weil es keinen was angeht, was Celia macht. Ich war bei ihr zu Hause, um ihr zu erklären, dass ich sie auf die Liste gesetzt habe und was die Liste genau ist. Wir saßen in der Küche, und Celia machte Tee. Lotta war nicht mitgekommen, weil sie zu Hause ihrer Mutter half.
»Dass du auf der Liste bist, heißt, dass ich mir was ausdenke«, erklärte ich, »damit die Leute aufhören, dich zu nerven.«
»Ja«, sagte Celia. »Manchmal habe ich Angst vor den Leuten. Es sind so viele Leute. Früher hab ich nie gemerkt, dass es so viele sind.«
»Weißt du denn, wer der Vater von deinem Kind ist?«, fragte ich. »Ich will es nicht wissen, es ist nur, dann könnte er das den anderen sagen, und es wäre Ruhe.«
Celia kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Dann öffnete sie die Lippen und sagte: »Ich weiß es schon. Aber er nicht.«
»Nein? Sollten wir es ihm nicht sagen?«
Celia schüttelte wieder den Kopf und legte eine Hand auf ihren Bauch. »Das Kind ist meins«, erklärte sie sehr entschieden. »Das gehört nur mir und auch sich selber, aber sonst keinem. Ich wollte es haben, verstehst du? Er dachte, ich krieg keins, weil ich die Pille nehme, aber ich hab geschwindelt, weil ich das Kind wollte.« Sie beugte sich vor und strich durch mein Haar, was sonst nur Lovis macht. »Wird auch so eins wie du«, sagte sie. »Ein schlaues Kind. Der Papa war ein schlauer, das Kind wird wie er, nicht wie ich, das wird schlau und hübsch und verdient dann viel Geld, und dann ist alles anders. Weißt du, hier geht sonst immer alles im Kreis, immer im Kreis herum, dusselige Eltern, dusselige Kinder, und kein Geld. Aber ich sorge jetzt dafür, dass der Kreis aufhört mit meinem Kind.«
Sie nickte stolz und goss mir Tee ein, und ich fand es schrecklich traurig, dass sie so über sich selbst redete. »Ich glaube nicht, dass du dusselig bist«, sagte ich. »Wer hat dir das denn gesagt?«
»Guck doch. Ich kann nichts. Ich hab keine Arbeit. Vorher das Melken. Und jetzt?«
»Ich glaube, es ist meine Schuld, dass sie dich da rausgeworfen haben«, sagte ich, denn genauso ist es. »Und deshalb tue ich jetzt auch was für dich. Ich habe eine Idee. Für einen Vater. Wir können einen finden. Leihweise.«
»Ich will aber keinen«, sagte Celia störrisch und streichelte ihren Bauch.
Als ich das sagte, kam die Marie in die Küche, im Trainingsanzug, mit einer Zigarette in der Hand. Sie nickte mir zu und sagte: »Soso, Prinz Goldhaar aus dem alten Pfarrhaus, was verschafft uns die Ehre«, und sie klang bitter dabei. Aber ich
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