Paradies für alle: Roman (German Edition)
das schummerige Licht der Eingangshalle fiel auf die Metalltür.
»Ein Safe oder so«, wisperte Lotta.
»Da ist das richtige, große Geld drin«, flüsterte ich.
»Wenn man den Schlü –«, sagte Lotta und verstummte. »Guck! David! Die ist gar nicht zu!«
Sie zog an der Tür, und die Tür gab nach. Jarsen musste vergessen haben, sie abzuschließen. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig, ich kniff vor Aufregung die Augen zu und dachte: Gleich halten wir einen Schatz in der Hand, Goldbarren oder doch den Schmuck der weggelaufenen Frau oder keine Ahnung, ein kleines Original-Picasso-Bild. »Ach nee«, sagte Lotta.
Ich öffnete die Augen. In dem hohen, schmalen Metallschrank lagen keine Goldbarren. Dort standen zwei Gewehre. »Die kann man garantiert auf dem Schwarzmarkt verticken«, sagte Lotta. »Aber wenn die meine Brüder in die Finger kriegen, gute Nacht. Der sollte mal besser die Tür zuschließen.«
Ich nickte. Ich dachte an die Kuh und wie Jarsen sie erschossen hatte. Ich wollte die Gewehre nicht länger angucken. Wir schlossen die Tür sorgfältig und schlichen zur Seitentür, um unsere Schuhe anzuziehen und endlich Jarsens Haus zu verlassen. Doch die Seitentür war jetzt genauso sorgfältig verschlossen. »Mist«, sagte Lotta.
»Fenster«, sagte ich.
Und dreimal dürfen Sie raten, was wir dann feststellten. Nämlich dass sich keines der Fenster im Erdgeschoss öffnen ließ, man konnte sie alle nur kippen. Jarsen war gar nicht so blöd, wenn er nicht vergaß, den Gewehrschrank oder die Seitentür zu verschließen, war sein Haus ziemlich sicher. Am Ende schlichen wir die Treppe wieder hoch, obwohl wir Angst hatten, dort Jarsen oder Livia zu begegnen, aber es war sehr spät und wir waren sehr müde. Oben war alles inzwischen dunkel. Das Kerzenlicht im Bad war erloschen, die Lampen ausgeknipst. »Sie schlafen«, flüsterte Lotta.
Die Fenster oben ließen sich öffnen, es funktionierte gleich beim ersten, einem Fenster im Flur.
Unter uns lag der asphaltierte Hof. Ich sprang zuerst, federte in den Knien und rollte ab, wie man das im Fernsehen sieht. Es tat höllisch weh an den Füßen, und ich musste mir auf die Zähne beißen, um nicht zu schreien.
Dann sprang Lotta. Sie versuchte, so abzurollen wie ich, aber irgendwie hatte sie nicht ganz kapiert, wie das ging. Als sie aufstehen wollte, ging es nicht, ich musste sie auf die Beine zerren, und sie gab ein ganz leises, hohes Geräusch von sich wie ein kleines Tier, eine Art Wimmern, das mir Angst machte. »Was ist kaputt?«, flüsterte ich.
»Weiß nicht«, sagte Lotta. »Glaub, der Fuß … Aber weißt du«, und sie lachte ein bisschen, »in fünf Wochen hab ich Geburtstag. Du schenkst mir einfach einen neuen Fuß.«
Da hob ich Lotta auf meinen Rücken, und sie war ganz leicht, sie ist wirklich klein und mickerig. Ich trug sie bis zum Tor, wir quetschten uns wieder zwischen den Stäben durch, und dann trug ich sie weiter, den ganzen Weg bis zu ihr nach Hause.
Vor ihrem Haus, wo das rote Licht brannte, saß die Marie in einem knappen schwarzen Kleid und einem Wintermantel auf den Stufen und rauchte. »Guck mal an, Prinz Goldhaar trägt die Dame seines Herzens durch die Nacht«, sagte sie.
»Fuß kaputt«, sagte ich knapp, weil ich für mehr keine Luft hatte.
»Wie hast du das denn gemacht?«, fragte die Marie.
»Schulsport«, antwortete Lotta, was um die Uhrzeit genauso viel Sinn gab wie Kirschen im Januar. Aber genau wie Tielow fragte die Marie nicht nach.
Livia und Jarsen sind also ein Paar. Nur dass sie kein Paar sind. Nicht richtig. Nicht offiziell.
Denn erstens ist Livia viel zu jung für Jarsen, sie ist zwanzig oder so, und er, glaub ich, eher fünfzig oder sechzig. Und zweitens wartet Jarsen wirklich immer noch darauf, dass seine Frau zurückkommt. Das jedenfalls sagen die Leute im Dorf, ich habe mich ein bisschen umgehört.
Ich glaube nicht, dass es Jarsen recht wäre, wenn seine Frau etwas von Livia wüsste, wo immer sie ist. Ich glaube, er liebt die Frau wirklich, und Livia hat er nur für das, was sie am Fenster gemacht haben.
Es gibt daher eine Möglichkeit, an sehr viel mehr Geld zu kommen, welches Jarsen zu viel hat und Frau Hemkes Pappkarton – noch – zu wenig. Es ist überhaupt eine richtige Goldader für die ganze Paradieswerkstatt. Wer Geld hat, kann so viel mehr tun! Dem Bauern die Kühe abkaufen zum Beispiel. Mehr Arztromane für Herrn Wenter besorgen, der den Ärzten immer noch nicht genug vertraut. Den Schauspieler für Celia bezahlen,
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