Paradies für alle: Roman (German Edition)
»Wir verteilen nur um. Es ist ganz einfach, Jarsen hat zu viel Geld und Frau Hemke gar keins, und gespendet hat er nichts, als der Karton an der Kirche hing; hätte er ja können. Aber alles, was Herr Jarsen tut, ist, mit seinem schwarzen Jeep hier herumzukurven oder Kühe totzuschießen.«
»Es war nur eine Kuh«, sagte Rosekast. »Und der Tierarzt hat gesagt, es geht nicht anders. Das habt ihr mir selbst erzählt.«
»Sind Sie schon wieder die Avokado Diaboli? Weil Sie für Herrn Jarsen sprechen, der nicht da ist und sich nicht verteidigen kann?«
»Ja«, sagte Rosekast. »Ich bin die Avokado. Aber ich bin auch der Warner. Es ist eine Sache, ein bisschen Geld zu sammeln und einen Hund zu klauen. Eine ganz andere Sache ist es, in ein Haus einzubrechen.«
»Wir haben fünfzehn Kühe entführt«, sagte Lotta und rückte die Kaninchenfellmütze auf Rosekasts Kopf zurecht. »Da werden wir es ja wohl schaffen, uns in ein einziges Haus reinzuschleichen?«
Wir gingen los, als es schon dunkel war. Das war um fünf Uhr nachmittags. Es war unglaublich kalt, ich glaube, es war der kälteste Tag im ganzen Winter. Ich lieh Lotta mal wieder einen warmen Pullover und eine Jacke von mir (ich denke über eine Umverteilung der Kleiderschrankinhalte nach, ich könnte dann in meinem wichtigere Dinge unterbringen wie die geheime Projektmappe oder das Otterskelett). Der Frost hing in Klumpen an den Bäumen, und der Mond sah aus, als wäre er am Himmel festgeeist.
»Wie kommen wir überhaupt rein?«, fragte Lotta.
»Ich habe mir das Tor angesehen«, sagte ich. »Die Abstände sind ziemlich groß. Wir passen durch. Dann sind wir schon im Hof.«
»Und du glaubst, er lässt sein Portemonnaie im Hof liegen?«
»Nein«, sagte ich. »Wir gehen natürlich ins Haus. Die Tür ist offen.«
»Wieso?«
»Weil Jarsen zu Hause ist. Deshalb. Ich habe ihn die letzten Tage über ausspioniert, vom Wald aus.«
»Aber«, sagte Lotta, »wir können doch nicht bei jemandem einbrechen, der zu Hause ist.«
Es klang, als bräche sie häufiger irgendwo ein und spräche aus Erfahrung. »Wir brechen ja nicht ein«, sagte ich. »Wir besuchen Jarsen nur, ohne dass er etwas davon weiß. Besuch ist meistens lästig, sagt meine Mutter, siehst du, und deshalb ist es doch besser, er kommt und geht wieder ohne dass man überhaupt etwas davon merkt.«
Lotta dachte eine Weile darüber nach und sagte dann: »Wie ist das eigentlich in dem Paradies, das wir machen? Gibt es da Tore? Gibt es da Besuch? Gibt es da das Haus von Jarsen?«
Ich nickte. »Alles wird genau so aussehen wie jetzt, weißt du. Man wird auf den ersten Blick gar keinen Unterschied sehen. Aber auf den zweiten schon. Das Tor, nehme ich an, wird immer offen sein, und Jarsen wird genauso viel Geld haben wie zum Beispiel … deine Eltern.«
»Ach«, sagte Lotta. Sie klang nicht überzeugt.
»Und einen Mond gibt es auch? Und den Wald?«
»Alles.«
»Und die Kälte? Sollte es im Paradies Kälte geben?«
»Klar«, sagte ich, »wegen der Eisbären.«
Aber ganz sicher war ich nicht, und ich bin es auch in diesem Moment nicht. Der Gedanke führt zu weit, erst müssen wir das Paradies machen , dann sehen wir schon, wie es wird. So etwas Ähnliches hat Lovis mal übers Bildermalen gesagt.
Lotta passte ganz einfach durch die Zwischenräume der Gitterstäbe von Jarsens Tor, sie ist ja ein bisschen klein und mickerig, aber obwohl ich ziemlich dünn bin, war es für mich schon knapp.
Drinnen in Jarsens Haus, das ein schönes altes Gutshaus ist, brannte Licht. Es war ein schönes, altes Licht, gedämpft und warm, und auch die Bäume, die innen an der Hofmauer standen, waren schön und alt, überhaupt alles. Jarsens Geld ist genauso schön und alt.
Ich ging zur Vordertür (einer schönen, alten Tür) und drückte dagegen. Sie war verschlossen. »Das dachte ich mir«, sagte ich, weil ich mir das gedacht hatte.
Ich hatte Jarsen ehrlich gesagt nur einmal wirklich ausspioniert, da hatte er eine Kiste mit Mineralwasser aus dem Jeep gehoben und durch die Seitentür ins Haus getragen. Irgendwie hätte ich mir fast gewünscht, er hätte etwas Unsympathischeres getragen, eine Kiste Sektflaschen oder so.
Die Seitentür war auch jetzt offen, und kurz darauf standen wir unten in Jarsens schönem, altem Haus, in dem es zu viele Räume gab. Es wäre hilfreich gewesen, zu wissen, in welchem von ihnen sich Jarsen aufhielt.
Wir zogen unsere dreckigen Schuhe aus und schlichen auf Socken durch die Flure. Es gab – bei der Vordertür – eine
Weitere Kostenlose Bücher