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Paradies Pollensa

Paradies Pollensa

Titel: Paradies Pollensa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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steht Gervase im Augenblick dicht neben Ihrer linken Schulter. Ich erkenne ihn ganz deutlich.«
    Major Riddles linke Schulter zuckte leicht. Beinahe argwöhnisch sah er Lady Chevenix-Gore an.
    Sie lächelte ihn an. Es war ein unbestimmtes, glückliches Lächeln.
    »Natürlich glauben Sie mir nicht! Das tun nur wenige Leute. Für mich ist die geistige Welt jedoch genauso real wie diese. Aber nun fragen Sie mich bitte, was Sie wollen, und denken Sie nicht, dass Sie mich damit quälten. Ich bin wirklich überhaupt nicht unglücklich. Alles ist Schicksal, verstehen Sie? Man kann seinem Karma nicht entkommen. Alles passt genau zusammen – der Spiegel, alles.«
    »Der Spiegel, Madame?« fragte Poirot.
    Mit einer unsicheren Kopfbewegung deutete sie hinüber.
    »Ja. Er ist zersplittert – sehen Sie? Ein Symbol! Kennen Sie Tennysons Gedicht? Als Mädchen habe ich es immer wieder gelesen – obgleich ich natürlich seine esoterische Seite damals noch nicht erkannte. Der Spiegel zersprang querdurch. ›Der Fluch ist über mich gekommen!‹ rief die Lady of Shalott. Genau dasselbe erlebte Gervase. Der Fluch ist plötzlich über ihn gekommen. Wissen Sie – meiner Ansicht nach liegt über den meisten sehr alten Familien ein Fluch… Der Spiegel zersprang. Er wusste, dass er verdammt war! Der Fluch war über ihn gekommen!«
    »Aber Madame – nicht ein Fluch hat den Spiegel zerspringen lassen. Ein Geschoss war es!«
    Immer noch in derselben heiteren unentschlossenen Art sagte Lady Chevenix-Gore: »Das läuft doch auf dasselbe hinaus… Es war Schicksal.«
    »Aber Ihr Mann hat sich selbst erschossen.«
    Lady Chevenix-Gore lächelte nachsichtig.
    »Das hätte er natürlich nicht tun sollen. Aber Gervase war schon immer ungeduldig. Er konnte nie abwarten. Seine Stunde war gekommen – und da ging er ihr ein Stück entgegen. In Wirklichkeit ist alles ganz einfach.«
    Major Riddle sagte in scharfem Ton: »Dann hat es Sie also überhaupt nicht überrascht, dass Ihr Mann sich das Leben nahm? Hatten Sie damit gerechnet, dass etwas Derartiges passiert?«
    »Aber nein!« Ihre Augen waren weit geöffnet. »Man kann nicht immer in die Zukunft schauen. Gervase war natürlich ein sehr seltsamer Mensch, ein sehr ungewöhnlicher Mensch. Er war so ganz anders als alle Übrigen. Er war die Wiedergeburt eines großen Mannes. Das habe ich schon seit einiger Zeit gewusst. Und ich nehme an, dass er selbst es auch gewusst hat. Es fiel ihm sehr schwer, sich den lächerlichen kleinen Anforderungen der alltäglichen Welt anzupassen.« Und über Major Riddles Schulter hinwegblickend, fügte sie hinzu: »Jetzt lächelt er. Und überlegt, wie dumm wir alle doch sind. Das sind wir auch. Wie Kinder so dumm. Wir tun, als wäre das Leben Wirklichkeit und sehr wichtig… Dabei ist es nur eine der großen Illusionen.«
    In dem Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, fragte Major Riddle verzweifelt: »Sie können uns also gar keinen Hinweis geben, aus welchem Grunde Ihr Mann sich das Leben genommen haben könnte?«
    Sie zuckte ihre schmalen Schultern.
    »Mächte bewegen uns – sie bewegen uns… Man kann es nicht begreifen. Sie selbst bewegen sich immer nur auf der materiellen Ebene.«
    Poirot hüstelte.
    »Da wir gerade von der materiellen Ebene sprechen: Haben Sie, Madame, eine Ahnung, in welcher Weise Ihr Mann über sein Vermögen verfügt hat?«
    »Vermögen?« Sie starrte ihn an. »Ich kümmere mich nie um Gelddinge.«
    Ihre Stimme klang hochmütig.
    Poirot wechselte das Thema.
    »Um welche Zeit sind Sie heute Abend zum Essen heruntergekommen?«
    »Um welche Zeit? Was ist denn schon Zeit? Unendlich – das ist die Antwort. Zeit ist unendlich.«
    »Aber Ihr Mann, Madame«, sagte Poirot leise, »nahm die Zeit sehr genau – besonders, wie man mir berichtete, die Zeit des Abendessens.«
    »Lieber Gervase.« Sie lächelte nachsichtig. »In diesem Punkt war er sehr dumm. Aber es machte ihn glücklich. Deshalb haben wir uns auch nie verspätet.«
    »Waren Sie im Wohnzimmer, Madame, als zum ersten Mal gegongt wurde?«
    »Nein. Ich war auf meinem Zimmer.«
    »Erinnern Sie sich vielleicht, wer sich im Wohnzimmer befand, als Sie herunterkamen?«
    »Fast alle, glaube ich«, sagte Lady Chevenix-Gore unsicher. »Ist denn das so wichtig?«
    »Möglicherweise nicht«, gab Poirot zu. »Aber noch etwas anderes. Hat Ihr Mann ihnen irgendwann mitgeteilt, dass er glaubte, betrogen zu werden?«
    Diese Frage schien Lady Chevenix-Gore nicht allzu sehr zu

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