Paradies Pollensa
Sattersway in bedeutsamem Ton, »möchte ich Ihnen alles über den Fall erzählen.«
Er sprach etwa zehn Minuten. Und wie er in der Dunkelheit dasaß, während sie durch die Nacht fuhren, empfand er ein berauschendes Gefühl der Macht. Was bedeutete es schon, dass er nur ein unbeteiligter Beobachter des menschlichen Lebens war? Ihm stand die Gewalt der Sprache zur Verfügung, er konnte Worte zu einem Gemälde zusammenfügen – einem Gemälde aus der Zeit der Renaissance, mit dem schönen Abbild der rothaarigen, blasshäutigen Laura Dwighton und der etwas zwielichtigen Figur eines Paul Delangua, den die Frauen so anziehend fanden.
Gemalt vor dem Hintergrund von Alderway, dem Herrensitz, der noch aus der Zeit Heinrichs VII. stammte, ja angeblich sogar noch älter war. Alderway, das so durch und durch englisch war, mit seinen zurechtgestutzten Eiben, der alten Fachwerkscheune und dem Fischteich, in dem einst die Mönche ihre Freitagskarpfen gezüchtet hatten. Mit einigen kräftigen Strichen fügte er Sir James Dwighton hinzu, einen echten Nachfahren der alten De Wittons, die in früheren Jahrhunderten dem Land ihr Geld abgepresst und es in eisenbeschlagenen Truhen gehortet hatten, so dass die Herren von Alderway niemals verarmten, mochten die Zeiten für andere auch noch so schlecht sein.
Endlich schwieg Mr Sattersway. Er war sich der Anteilnahme seiner Zuhörer sicher. Nun wartete er auf sein verdientes Lob. Und er bekam es.
»Sie sind ein Künstler, Mr Sattersway!«
»Ich… ich tue mein Bestes.« Plötzlich wurde der kleine Mann bescheiden.
Vor ein paar Minuten waren sie durch das große Parktor gefahren. Nun hielten sie vor dem Portal des Hauses. Ein Polizist kam eilig die Treppe herunter, um sie zu begrüßen.
»Guten Abend, Sir. Inspektor Curtis ist in der Bibliothek.«
»In Ordnung.«
Melrose eilte die Stufen hinauf, gefolgt von seinen Begleitern. Während die drei die weite Halle durchquerten, spähte ein ältlicher Butler ängstlich aus einer Tür. Melrose nickte ihm zu.
»Guten Abend, Miles. Was für eine traurige Geschichte!«
»Das ist sie in der Tat«, entgegnete der andere zitternd. »Ich kann es noch gar nicht fassen, Sir. Zu denken, dass jemand unseren Herrn erschlagen hat…«
»Ja, ja«, unterbrach ihn Melrose. »Ich werde mich später noch mit Ihnen unterhalten.«
Er eilte weiter in die Bibliothek, wo ihn ein großer, soldatisch aussehender Polizeibeamter respektvoll begrüßte.
»Schreckliche Geschichte, Sir. Ich habe nichts verändert. Keine Fingerabdrücke auf der Bronzefigur. Wer es auch getan hat, er verstand sein Geschäft.« Sattersway blickte auf die zusammengesunkene Gestalt, die an dem großen Schreibtisch saß, und sah schnell wieder weg. Der Lord war von hinten erschlagen worden, mit einem wuchtigen Schlag, der die Schädeldecke zertrümmert hatte. Es war kein schöner Anblick. Die Bronzefigur lag auf dem Boden, etwa sechzig Zentimeter groß, der Sockel feucht und blutbefleckt. Mr Sattersway beugte sich neugierig darüber.
»Eine Venus«, sagte er leise. »So wurde sein Leben also durch Venus, die Göttin der Liebe, beendet.«
»Die Flügeltüren waren alle geschlossen und von innen verriegelt«, erläuterte der Inspektor und schwieg dann bedeutungsvoll.
»Demnach kam der Täter aus dem Haus«, stellte der Polizeichef widerstrebend fest. »Nun, wir werden sehen.«
Der Ermordete trug Golfkleidung, und eine Tasche mit Golfschlägern lag auf einem großen Ledersofa.
»Er war gerade vom Golfplatz zurückgekommen«, erklärte der Inspektor und folgte dem Blick seines Vorgesetzten. »Um Viertel nach fünf war das. Ließ sich dann vom Butler den Tee servieren. Später ließ er sich von seinem Kammerdiener ein Paar bequeme Schuhe bringen. Soweit wir wissen, war der Diener die letzte Person, die ihn lebend sah.«
Melrose nickte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zu. Viele der Gegenstände darauf waren umgeworfen worden oder zerbrochen. Am auffallendsten war eine große, dunkle Emailleuhr, die genau in der Mitte der Schreibtischplatte mit der Schmalseite nach oben lag.
Der Inspektor räusperte sich. »Wir haben sozusagen Glück gehabt, Sir«, sagte er. »Wie Sie sehen, ist die Uhr um halb sieben stehen geblieben. Damit kennen wir den genauen Zeitpunkt des Verbrechens. Sehr aufschlussreich.«
Der Oberst starrte die Uhr an. »Ja, wie Sie sagen«, bemerkte er, »sehr aufschlussreich.« Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Verdammt – viel zu
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