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Paradies

Paradies

Titel: Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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gerichtet. Seine Uniform war mit zahlreichen Orden besetzt. In der Hand hielt er eine kleine Plastiktüte. Die Trauergäste machten ihm Platz. Annika stand auf der anderen Seite des Grabs und sah verblüfft, wie der alte Mann auf die Knie fiel, seine Schirmmütze abnahm und unverständliche Worte flüsterte. Seine Haare waren grau und schütter, die Kopfhaut darunter glänzte. Er kniete und betete lange, atmete schwer.
    Annika konnte die Augen nicht von ihm lassen und lauschte intensiv seiner gebrochenen Stimme.
    Dann stand er mühsam auf, hob die Tüte auf, schob eine Hand hinein, zog sie wieder hinaus und warf etwas auf den Sarg, Erde!
    Eine Hand voll Erde!
    Das Murmeln wurde lauter. Annika lauschte erstarrt, eine weitere Hand voll Erde, weitere bedeutungsschwere Worte, eine dritte Hand, die Worte verstummten, der Mann steckte die Tüte mit Erde wieder in die Tasche und klopfte sich die Hände ab.
    Du weißt alles über Aida, dachte sie. Du kennst ihre Dämonen.
    Sie rannte um das Grab herum, denn der Mann war bereits auf dem Rückweg zu den Autos und den anderen Männern, sie packte ihn am Ärmel.
    »Please, Sir!«
    Er blieb überrascht stehen und sah sie über die Schulter hinweg an.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie auf Englisch. »Woher kannten Sie Aida?«
    Der Mann starrte sie an und versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien.
    »Ich bin Journalistin«, sagte Annika. »Ich bin Aida wenige Tage vor ihrem Tod begegnet. Wer sind Sie?«
    Plötzlich waren die Männer in den dunkelgrauen Mänteln überall und schoben sich zwischen sie und den Offizier. Sie schienen erregt zu sein und fragten den Mann etwas. Mehrmals wurden die gleichen Worte wiederholt, aber der alte Mann winkte nur abwehrend mit der Hand und wandte sich von ihr ab. Wie eine graue Masse glitten sie zu ihren Autos, stiegen ein, ließen die Wagen an und rollten zwischen den Bäumen davon.
    Annika starrte ihnen, in Schweiß gebadet und mit blassem Gesicht, nach.
    Sie hatte ein Wort verstanden, das der Mann am Grab gemurmelt hatte, ein einziges. Er hatte es mehrere Male ausgesprochen, da war sie sich ganz sicher.
    Bijeljina.
    Die Frauen traten einzeln an das Grab heran, sagten etwas und legten Blumen auf den Sarg. Annika geriet in Panik. Sie hatte keine Blume, sie hatte nichts zu sagen, nur: Verzeih, dass ich dich getäuscht und in den Tod gelockt habe.
    Sie wandte sich ab, stolperte, musste weg, konnte nicht mehr am Grab bleiben.
    Der alte Mann musste Aida sehr nahe gestanden haben, vielleicht war er sogar ihr Vater.
    Wenn er wüsste, schoss es ihr durch den Kopf, was ich getan habe.
    Aber ich habe wirklich versucht zu helfen, verteidigte sie sich, ich habe es gut gemeint.
    Schwankend vor Scham und Schuld, ging sie in Richtung Bushaltestelle. Ihr war schlecht, sie wollte sich übergeben.
    Sie hatte das Loch im Zaun ein paar Meter hinter sich gelassen, als ihr jemand die Hand auf den Mund legte.
    Ihr erster Gedanke war, dass die Männer in den grauen Mänteln zurückgekommen waren, um sie zu holen. Der alte Offizier wollte mit ihr abrechnen.
    »Ich drücke dir eine Pistole ins Rückgrat«, zischte der Mann. »Geh weiter.«
    Annika konnte sich nicht bewegen. Sie stand wie gelähmt auf dem Bürgersteig, Ratkos Kopf hing über ihrer Schulter.
    Er fuhr ihr mit der Hand in die Haare und riss ihren Kopf nach hinten.
    »Vorwärts!«
    Jetzt sterbe ich, dachte sie, jetzt sterbe ich.
    »Jetzt geh schon, du Sau!«
    Sie schloss, atemlos vor Angst, die Augen und begann langsam die Straße entlangzustolpern. Der Mann keuchte in ihrem Nacken, er roch schlecht. Nach etwa zehn Metern blieb er stehen.
    »Ins Auto«, sagte er.
    Sie blickte sich um, hatte einen steifen Nacken, ihre Kopfhaut brannte, welches von den Autos?
    Er schlug ihr ins Gesicht, und sie spürte, dass etwas Warmes von ihren Lippen herunterlief. Auf einmal war sie vollkommen klar, das kannte sie, an Schläge war sie gewöhnt, damit konnte sie umgehen.
    »Und wenn ich mich weigere?«, sagte sie. Ihr Lippe wurde schon dick.
    Er schlug sie noch einmal.
    »Dann bringe ich dich auf der Stelle um«, antwortete er.
    Sie starrte in sein Gesicht hinauf, rote Flecken von der Kälte, müde Schatten unter den Augen. Sie atmete jetzt schneller, flach und hastig, ihr Blickfeld begann zu flimmern, sie konnte nicht und wollte auch nicht.
    »Dann mal los«, sagte sie.
    Etwas ging in dem Mann vor. Er zerrte einen Strick hervor, presste sie gegen das Fahrzeug neben ihr, ein kleines blaues Auto, drehte ihr die Arme auf den

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