Paradies
plötzlich verunsichert, in der Tür stehen und schaute sich vorsichtig um. Ein paar Frauen und ein Junge in der letzten Bank drehten sich um und sahen sie an.
Ganz vorne stand ein kleiner glänzender und weißer Sarg mit drei roten Rosen auf dem Sargdeckel.
Ihr war übel, und sie zitterte. Sie ging ein paar Schritte, zog ihre Jacke aus und setzte sich auf eine leere Bank ganz hinten. Sie hatte vergessen, Blumen mitzunehmen, und wurde sich auf einmal ihrer leeren Hände bewusst.
Es herrschte tiefe Stille, der Raum war hell erleuchtet. Das Sonnenlicht fiel durch die mit Blei eingefassten Fenster unter der Kuppel herein und warf bunte Flecken auf Wände und Fußboden.
Es traf die Wände und ließ die gelbe Farbe aufglühen.
Ein schwaches Summen war zu hören. Annika versuchte, die übrigen Trauergäste verstohlen in Augenschein zu nehmen, ohne dass es auffiel. Die meisten waren Frauen, von denen etwa die Hälfte Schwedinnen zu sein schienen. Die anderen stammten vermutlich aus dem ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt waren vielleicht zwölf, vierzehn Menschen gekommen, und alle hatten Blumen mitgebracht.
Ihre Verwunderung über die Anwesenheit von Trauergästen verwandelte sich in Ärger.
Wo wart ihr, als Aida eure Hilfe brauchte?
Es ist verdammt einfach, da zu sein, wenn es zu spät ist.
Die Kirchenglocken begannen über ihrem Kopf zu läuten. Ihr Klang sickerte dumpf und schicksalsschwer zu den spärlich besetzten Bankreihen hinab und stieß durch ihren Körper. Tränen trübten ihren Blick.
Die Glocken verklangen, die nachfolgende Stille wog umso schwerer. Man hörte Schluchzen und Räuspern, das Rascheln von Gesangbuchseiten. Dann schaltete jemand eine CD an, und sie erkannte den ersten Satz von Mozarts Requiem. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, wurde ganz von der Musik erfüllt, den langsamen Strophen, die der sterbende Wolfgang Amadeus geschaffen hatte.
Die Musik verklang. Ein Mann in einem dunkelgrauen Anzug, offensichtlich der Geistlic he, stellte sich vor den Sarg. Er sagte ein paar Dinge über das Leben und den Tod, es waren Plattitüden.
Nach ein, zwei Minuten schloss sie die Augen, hörte seine Worte und ließ sie vorbeiziehen, es ist am schönsten, wenn das Licht versiegt, all die Liebe, die im Himmel liegt, Musik erklang von neuem, eine Mischung aus schwedischen Songs. Sie wurde wieder ärgerlich.
Wer zum Teufel hat eigentlich diese Musik zusammengestellt?
Annika wischte sich wütend die Tränen ab. Alle schienen zu weinen. Sie sah den Geistlichen an, seinen routiniert gesenkten Kopf, in der ersten Bankreihe, was wusste er schon über Aida? Kein einziges persönliches Wort kam über seine Lippen, weil er sie nie kennen gelernt hatte.
Sie versuchte sich an Aida zu erinnern und sah sie vor sich, krank, ängstlich, gehetzt.
Wer warst du?, dachte Annika. Warum bist du gestorben?
Der Mann in dem Anzug sprach wieder, rhythmisch, es war ein Gedicht von Edith Södergran. Eine der Frauen aus der ersten Bankreihe stellte sich anschließend an den Altar und sang allein mit klarer und reiner Stimme. Annika verstand kein Wort, das Lied war auf Serbokroatisch. Die Töne stiegen auf, wirbelten unter der Decke, lebten und wuchsen, die Trauer, die in der Kapelle aufstieg, war auf einmal echt und anrührend, warum, warum?
Annika weinte in ihre Hände hinab, die Trauer saß wie ein schwerer, greifbarer Kloß in ihrer Brust, sie fühlte sich schuldig.
Wir tun das für uns, dachte sie, nicht für Aida. Ihr wäre das egal gewesen.
Dann folgte ein Kirchenlied, das sie wieder erkannte, denn es war auch auf der Beerdigung ihrer Großmutter gespielt worden, und ihr Mund formte stumm die Worte, herrlich ist die Erde, herrlich Gottes Himmel, mit Gesang betreten wir das Paradies.
Sie senkte den Kopf und presste die Lippen zusammen.
Stille erfüllte nun wieder den Raum, und sie konnte nicht atmen.
Die Kirchenglocken läuteten zum Abschluss noch einmal, es war vorbei. Aida entfernte sich, wurde ausradiert. Sie wollte plötzlich protestieren, die Männer aufhalten, die nun herantraten, um den Sarg hochzuheben und ihn dann auf ihren Schultern durch den Mittelgang zu tragen, nur knapp einen Meter entfernt an ihr vorbei. Ich bin noch nicht fertig mit ihr, ich muss mehr über sie erfahren! Annika stand auf, ihr war übel. Sie wartete, bis die anderen Trauergäste an ihr vorbeigegangen waren, spürte ihre verstohlenen Blicke, ging als Letzte hinaus.
Die Kälte schlug ihr klar und frisch entgegen, das
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