Paradies
lassen!«
Sie hörte die helle, sanfte, etwas schleppende Stimme.
Annikas Herz schlug höher. Sie hatte fast vergessen, wie aufregend das sein konnte.
»Ich würde Sie gern wieder treffen«, sagte sie. »Wann hätten Sie Zeit?«
»Diese Woche ist es schwierig, wir werden mehrere neue Klienten in unsere Obhut nehmen. Nächste Woche sind wir auch sehr beschäftigt.«
Ihr Mut sank, verdammter Mist.
»Warum haben Sie uns denn angerufen, wenn Sie dann doch keine Zeit haben, mit uns zu reden?«
Nur das Rauschen in der Leitung war zu hören.
»Ich treffe mich gern mit Ihnen, wenn ich Zeit habe«, sagte Rebecka Björkstig mit ihrer hauchigen, kühlen, neutralen Stimme.
»Und wann wäre das?«
»Ich habe um vierzehn Uhr eine Besprechung in der Stockholmer Innenstadt. Wir könnten uns vorher kurz treffen. Das ist der einzige freie Termin, den ich habe.«
Annika schaute auf den Wecker.
»Jetzt? Heute?«
»Wenn es Ihnen passt?«
Sie legte sich mit dem Hörer am Ohr hin.
»Sicher«, sagte sie.
Als sie aufgelegt hatten, blieb sie noch einen Moment lang ruhig im Bett liegen. Für ein paar Sekunden lag das Zimmer wieder in glänzendem Licht. Dann schlug sie die Decke zur Seite, zog sich ihre Jogginghose und die Kapuzenjacke an und lief mit Duschgel und Shampoo zur Dusche, die auf der anderen Seite des Hofs lag, hinunter. Das Wasser war warm und umschmeichelte sie, sie wusch sich die Haare, trocknete sich langsam ab, das Licht war zurück.
Sie lief die Treppen hoch, kochte Kaffee, aß einen Joghurt und putzte sich die Zähne an der Spüle.
Durch das kaputte Fenster im Wohnzimmer zog es kalt herein. Sie kehrte das Glas und den abgebröckelten Putz zusammen und suchte eine Plastiktüte aus dem Supermarkt heraus, mit der sie das Loch zuklebte.
Bald, dachte sie. Bald weiß ich, wie dieses
Paradies
funktioniert.
Bald bin ich bei Großmutter in Lyckebo.
Rebecka Björkstig trug die gleichen Kleider wie bei ihrer ersten Begegnung. Sie waren hell und neutral, Leinen oder Baumwollmischgewebe. Ihr Haar war straff nach hinten gekämmt, blond, sie hatte einen leicht gezwungenen Zug um den Mund.
Evita Peron, die den Armen und Schwachen hilft, dachte Annika.
Don’t cry for me, Argentina.
»Ich habe nur wenig Zeit«, sagte die Frau, »vielleicht könnten wir gleich zur Sache kommen.«
Sie hat eine Vorliebe für Hotelbars, stellte Annika fest, als die Frau den Kellner heranwinkte und für sie beide Mineralwasser bestellte.
»Wir waren bis zu der Löschung gekommen«, sagte Annika und lehnte sich zurück. Ihr Haar war noch nass, es roch nach Wella.
»Sie lassen Menschen verschwinden. Wie funktioniert das?«
Rebecka Björkstig seufzte und griff nach einer Serviette.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte sie und wischte sich die Hände ab, »aber wir haben im Moment ziemlich viel zu tun. Wir haben gerade einen neuen Fall bekommen, der recht kompliziert ist.«
Annika blickte auf ihren Notizblock und probierte aus, ob ihr Stift auch schrieb. Aida aus Bijeljina?, dachte sie.
Der Kellner kam mit ihrem Mineralwasser. Seine Schürze war sauber. Rebecka Björkstig wartete wie beim letzten Mal, bis er wieder gegangen war.
»Also, man darf nicht vergessen, dass es sich hier um Personen handelt, die große Angst haben«, sagte sie. »Einige von ihnen sind vor lauter Angst wie gelähmt. Sie können nicht mehr einkaufen oder zur Post gehen, sie können ihr Leben nicht mehr bewältigen.«
Sie schüttelte den Kopf über diese bedauernswerten Fälle.
»Es ist furchtbar. Wir müssen ihnen bei allem helfen, bei praktischen Details wie der Kinderbetreuung, einer neuen Wohnung, Arbeit, Schulen. Und dann ist da natürlich auch noch die psychologische und soziale Betreuung, viele sind wirklich am Ende.«
Annika nickte und machte sich Notizen, doch, das konnte sie sich vorstellen. Sie musste wieder an Aida denken.
»Was tun Sie?«, wollte sie wissen.
Rebecka Björkstig wischte einen Fleck auf ihrem Glas ab und nippte an ihrem Wasser.
»Der Klient kann seine Kontaktperson bei uns rund um die Uhr erreichen. Es ist das A und O, dass es immer jemanden gibt, der für einen da ist, wenn es einem gerade besonders schlecht geht.«
Komm zur Sache, dachte Annika.
»Wo wohnen diese Menschen? Verfügen Sie über ein großes Haus?«
»
Paradies
benutzt eine Reihe von Häusern in ganz Schweden. Wir besitzen sie in der Regel oder mieten sie über Strohmänner, sodass der wahre Käufer sich nicht ermitteln lässt. Dort können die Klienten eine Zeit
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