Paradies
Frau schweifte durch das Zimmer, die linke Hand suchte und griff.
»Bin ich in Lyckebo?«
Die Tränen kullerten herunter, sie atmete durch den offenen Mund und ließ die Tränen laufen.
»Nein, Großmutter, du bist krank geworden. Du bist im Krankenhaus.«
Die Augen der alten Frau kehrten zu Annika zurück.
»Wer bist du?«
»Annika«, flüsterte Annika. »Ich bin es.«
Dann leuchteten die Augen hinter dem trüben Schleier auf.
»Ja, natürlich«, sagte Sofia Katarina. »Mein Lieblingsmädchen.«
Annika weinte, legte die Stirn auf den Bauch der alten Frau und hielt ihre Hand. Dann stand sie auf, um sich die Nase zu putzen.
»Du warst sehr krank, Großmutter«, sagte sie auf dem Weg um das Bett herum. »Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass du bald wieder ganz gesund wirst.«
Aber ihre Großmutter war schon wieder eingeschlafen.
MITTWOCH, 31. OKTOBER
Aida mobilisierte all ihre Kräfte. Der vor ihr liegende Anstieg kam ihr endlos lang vor. Die Straße schwankte, sie taumelte voran, und der Schweiß lief ihr hinter den Ohren den Hals hinunter. Wann war sie endlich da?
Sie setzte sich auf die Straße, ließ die Beine in den Straßengraben hängen und legte den Kopf auf die Knie. Sie spürte weder Kälte noch Feuchtigkeit. Nur ein wenig ausruhen, dann würde sie weitergehen.
Ein Auto schob sich über die Hügelkuppe und wurde langsamer, als es an ihr vorbeifuhr. Sie spürte die Blicke in ihrem Rücken. So konnte sie hier nicht sitzen bleiben. In einem behüteten Wohngebiet wie diesem würde sonst bestimmt bald jemand die Polizei rufen.
Sie stand auf, und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen.
Ich muss das Haus finden. Auf der Stelle.
Sie ging weiter, und schon bei der nächsten Einfahrt sah sie die Nummer. Wie lächerlich, beinahe hätte sie knapp zwanzig Meter vor dem Ziel aufgegeben. Sie versuchte zu lachen. Stattdessen stolperte sie über einen Stein, wäre fast hingefallen und war den Tränen nahe.
»Helft mir«, murmelte sie.
Sie schleppte sich zur Treppe, zog sich am Geländer hoch und klingelte. Eine massive Haustür, zwei Sicherheitsschlösser. Eine Glocke schrillte im Haus, aber nichts geschah. Sie klingelte noch einmal. Und noch mal. Und noch mal. Sie versuchte, durch das braune Glas der Fenster neben dem Türrahmen zu schauen: Dunkelheit, Leere, nicht einmal Möbel.
Sie ließ sich auf die Treppe fallen und lehnte sich mit der Stirn an die Hauswand. Jetzt konnte sie einfach nicht mehr. Sollte er doch kommen. Es war egal. Ruft die Polizei. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.
»Aida?«
Sie hatte kaum noch die Kraft aufzublicken.
»Aber meine Liebe, wie geht es Ihnen?«
Ihr Bewusstsein trübte sich, sie hielt sich an der Wand fest.
»Mein Gott, sie ist ja krank. Anders! Komm und hilf mir!«
Jemand griff nach ihr und zog sie auf die Füße. Sie hörte eine erregte Frauenstimme und eine ruhigere Männerstimme, es wurde warm, dunkel, sie war im Haus.
»Leg sie auf die Couch.«
Alles schwankte und hüpfte, sie wurde bewegt, landete irgendwo und sah auf die Rückenlehne einer braunen, kratzigen Couch.
Jemand deckte sie mit einer Decke zu, aber sie fror trotzdem.
»Es geht ihr sehr schlecht«, sagte die Frau. »Sie hat hohes Fieber.
Wir müssen sie zu einem Arzt bringen.«
»Wir können keinen Arzt hierher holen, das weißt du doch«, meinte der Mann.
Aida wollte etwas sagen, protestieren, nein, kein Arzt, kein Krankenhaus.
Die Menschen gingen in ein anderes Zimmer, und sie hörte ihre leisen Stimmen. Vielleicht war sie doch ein wenig eingeschlummert, denn in der nächsten Sekunde beugten sich der Mann und die Frau mit einer Tasse dampfenden Tees über sie.
»Sie müssen Aida sein«, sagte die Frau. »Ich heiße Mia, Maria Eriksson. Das hier ist mein Mann, Anders. Seit wann sind Sie so krank?«
Sie versuchte zu antworten.
»Kein Arzt«, flüsterte sie.
Die Frau namens Mia nickte.
»Okay«, sagte sie. »Kein Arzt. Wir verstehen. Aber Sie brauchen unbedingt ärztliche Hilfe, und wir wissen eine Lösung.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Sie suchen nach mir.«
Mia Eriksson strich ihr über die Stirn.
»Das wissen wir, aber es gibt Möglichkeiten, Ihnen zu helfen, ohne dass jemand davon erfährt.«
Sie schloss die Augen, atmete auf.
»Bin ich im
Paradies
?«, flüsterte sie.
Die Antwort erreichte sie von weit her, sie versank bereits wieder.
»Ja«, antwortete die Frau. »Wir werden uns jetzt um Sie kümmern.«
Während der Nacht hatten sie abwechselnd geschlafen und
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