Paradies
Alternative…«
»Nie und nimmer!«
»… wenn es dort freie Plätze geben würde. Aber es gibt keine, und die Warteliste ist lang. Sofia wird schon bald aus medizinischer Sicht austherapiert sein, man benötigt also eine Versorgung rund um die Uhr und umfassende und intensive Rehabilitierungsmaßnahmen. Folglich müssen wir möglichst rasch eine andere Lösung finden. Deshalb wende ich mich an Sie. Haben Sie andere Vorschläge?«
Annikas Mutter leckte sich unsicher die Lippen.
»Na ja«, sagte sie, »also ich weiß nicht, man glaubt natürlich, die Gesellschaft würde die Verantwortung übernehmen, wenn so etwas passiert, dafür zahlen wir immerhin Steuern…«
Annika starrte auf ihre Hände hinunter, ihr Gesicht brannte.
»Gibt es denn woanders freie Plätze?«, fragte sie.
»Eventuell in Bettna«, antwortete die Ärztin.
»Das ist doch dreißig, vierzig Kilometer von Hälleforsnäs entfernt und fast zweihundert von Stockholm«, sagte Annika und blickte auf. »Wie sollen wir sie da besuchen?«
»Ich sage ja auch nicht, dass es eine ideale…«
»Was ist denn mit Stockholm?«, fragte Annika. »Könnte sie nicht auch einen Platz in Stockholm bekommen? Ich würde sie täglich besuchen.«
Sie war wieder aufgestanden, aber die Ärztin zwang sie mit einer Geste wieder auf den Stuhl.
»Wenn überhaupt, dann nur als letzte Alternative. Wir müssen erst versuchen, eine Lösung innerhalb unserer eigenen Gemeinde zu finden.«
Ihre Mutter sagte nichts und fingerte stattdessen nervös an den Haken an der vorderen Saumkante ihres Pelzmantels herum.
Annika saß mit hängenden Schultern auf ihrem Stuhl und starrte zu Boden. Die Ärztin betrachtete sie eine Zeit lang schweigend, Mutter und Tochter, die junge Frau stand unter Schock, die ältere war verwirrt und betrübt.
»Es ist ein furchtbares Erlebnis für Sie gewesen«, sagte sie und wandte sich an Annika. »Sie werden als Folge dieser traumatischen Erfahrung mit einigen Symptomen zu kämpfen haben. Sie können plötzlich frieren, weinen oder sich niedergeschlagen fühlen.«
Annika begegnete dem Blick der Ärztin.
»Na toll«, entgegnete sie. »Und was kann ich dagegen tun?«
Die Ärztin seufzte schwach.
»Trinken Sie was Alkoholisches«, erwiderte sie und stand auf.
Annika starrte sie entgeistert an.
»Meinen Sie das ernst?«
Die Ärztin lächelte schwach und streckte ihr die Hand entgegen.
»Das ist ein bewährtes Hausmittel in solchen Fällen. Wir werden uns sicher bald wieder treffen müssen. Wenn Sie wollen, können Sie hier noch etwas sitzen bleiben, aber ich muss jetzt leider zur Visite.«
Die Ärztin ließ die beiden Frauen in dem kleinen Raum zurück.
Die Tür schloss sich hinter ihr. Die nachfolgende Stille war bedrückend. Annikas Mutter räusperte sich.
»Hast du mit der Krankengymnastin gesprochen?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Natürlich habe ich das«, antwortete Annika. »Ich bin die ganze Nacht hier geblieben.«
Barbro stand auf, ging zu Annika und strich ihr zärtlich übers Haar.
»Wir dürfen uns nicht streiten«, flüsterte ihre Mutter. »Wir müssen zusammenhalten, jetzt, wo Mama krank ist.«
Annika seufzte, zögerte und legte dann ihre Hände um die üppigen Hüften ihrer Mutter und presste das Ohr gegen ihren Bauch, in dem es leise gluckste.
»Ja, du hast Recht, wir werden uns nicht streiten«, flüsterte sie zurück.
»Fahr nach Hause und ruh dich etwas aus«, meinte Barbro und tastete in der Tasche ihres Pelzmantels nach den Schlüsseln. »Ich bleibe hier bei Sofia.«
Annika ließ sie los.
»Nein, danke«, sagte sie, »aber ich fahre lieber zurück nach Stockholm und schlafe bei mir. Ich bin ja sofort wieder hier, wenn etwas ist, der X2000 braucht für die Strecke nur achtundfünfzig Minuten.«
Sie nahm ihre Sachen und umarmte ihre Mutter.
»Du wirst sehen, alles wird gut«, sagte Barbro.
Annika trat in den schier endlosen und kalten Krankenhausflur hinaus.
Im Zug bekam sie dann tatsächlich Schüttelfrost. Sie hatte Zeitungen gekauft und vor sich liegen, verspürte aber nicht die geringste Lust, eine von ihnen aufzuschlagen.
Alkohol, dachte sie. Toller Tipp.
Sie hatte nicht vor, etwas zu trinken. Ihr Vater hatte so viel getrunken, dass es für die ganze Familie bis ans Ende ihrer Tage reichte.
Er soff, bis er sturzbetrunken im Graben an der Straße in Richtung Granhed starb.
Sie kauerte sich auf dem Sitz zusammen und zog ihre Jacke fest zu, aber das half auch nicht. Die Kälte kam von innen, vom
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