Paradies
Herzen.
Alle, die ich liebe, sterben, dachte sie in einem Anfall von Selbstmitleid. Papa, Sven, bald vielleicht auch Großmutter.
Nein, dachte sie dann. Großmutter nicht. Sie wird wieder fast gesund werden. Wir werden einen Ort finden, an dem sie wieder auf die Beine kommt.
Sie griff nach den Zeitungen, konnte aber einfach nicht lesen.
Stattdessen legte sie den Kopf an die Rückenlehne, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Es ging nicht, ihr Körper zuckte und zitterte.
Erneut lehnte sie sich zurück und seufzte. Anschließend streckte sie sich nach der Zeitung und blätterte direkt zu den Seiten sechs und sieben, auf denen die Hauptnachricht stand. Ein Mann auf einem großen, unscharfen Bild, das bis zur Grenze des Publizierbaren vergrößert worden war, starrte sie aus der Zeitung an. Sekundenbruchteile später erkannte sie ihn.
Wo ist Aida? Aida Begovic. Ich weiß, dass sie hier ist.
Die Überschrift war genauso groß und schwarz wie der Mann vor der Hotelzimmertür vorgestern Abend.
Der Boss der Zigarettenmafia, lautete sie, und unter dem Bild stand:
Er wird Ratko genannt, kam in den siebziger Jahren nach Schweden und wurde wegen Bankraubs und Kidnappings verurteilt.
Heute steht er für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien unter Anklage. Die schwedische Polizei hat den Verdacht, dass er als Drahtzieher hinter dem organisierten Zigarettenschmuggel nach Schweden steckt.
Sie schlug die Zeitung zu, ihre Zähne klapperten, der verletzte Finger und die drei Stiche schmerzten. Die Übelkeit war wieder da.
Anders Schyman schmetterte die Zeitung auf den Tisch vor Ingvar Johansson.
»Ich verlange eine Erklärung«, sagte er.
Der unscharfe Mann auf der Zeitungsseite glotzte blind zu den beiden Männern auf. Der Nachrichtenchef wandte den Blick von seinem Computerbildschirm ab.
»Was meinen Sie?«
»In mein Büro. Sofort.«
Sjölander war schon dort und stand in dem Staubberg, den das Sofa zurückgelassen hatte. Schyman ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen, der unter seinem Gewicht knackte. Ingvar Johansson zog die Tür zu.
»Wer hat entschieden, Ratko mit Bild und Namen zu bringen?«, fragte der Redaktionsleiter in den Raum hinein.
Die stehenden Männer tauschten Blicke aus.
»Ich gehe nach der Übergabe nach Hause, ich kann nicht darüber spekulieren, was…«, begann Ingvar Johansson, aber Schyman schnitt ihm auf der Stelle das Wort ab.
»Unsinn«, sagte er. »ich kann durchaus erkennen, ob ein Entwurf tagsüber gemacht worden ist oder nicht. Außerdem habe ich bereits mit Jansson und Torstensson gesprochen. Der Chefredakteur ist über den Publikationsbeschluss überhaupt nicht informiert worden, und Jansson war ehrlich erstaunt und hat erklärt, das ganze Paket sei von der Tagschicht geliefert worden. Setzen Sie sich.«
Sjölander und Ingvar Johansson ließen sich gleichzeitig auf die Besucherstühle fallen. Niemand sagte etwas.
»Das kann ich nicht akzeptieren«, sagte Schyman leise, als die Stille unerträglich zu werden drohte. »Der Beschluss, den Namen von noch nicht verurteilten Verdächtigen zu veröffentlichen, wird vom verantwortlichen Herausgeber getroffen, das kann doch verdammt noch mal nicht neu für Sie sein.«
Sjölander sah zu Boden, und Ingvar Johansson rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.
»Wir haben seinen Namen auch schon früher gebracht. Dass er ein Gangster ist, ist doch nichts Neues.«
Anders Schyman seufzte schwer.
»Wir schreiben aber nicht nur, dass er ein Gangster ist. Wir bringen ihn mit dem Doppelmord im Freihafen in Verbindung und beschuldigen ihn indirekt, der Mörder zu sein. Ich habe bereits mit unseren Juristen gesprochen. Wenn Ratko uns verklagt, sind wir dran, ganz zu schweigen davon, was der Presserat dazu sagen würde.«
»Er wird uns schon nicht verklagen«, sagte Ingvar Johansson selbstsicher. »Er sieht das eher als reine Reklame für seine Arbeit.
Außerdem haben wir versucht, einen Kommentar von ihm zu bekommen. Calle Wennergren ist rumgefahren und hat letzte Nacht mit den Leuten in den jugoslawischen Kneipen gesprochen…«
Anders Schyman schlug so heftig mit der Handfläche auf die Tischplatte, dass die beiden Männer auf der anderen Seite unwillkürlich zusammenzuckten.
»Das begreife ich selbst«, brüllte er. »Darum geht es nicht. Es geht darum, dass man sich in dieser Redaktion laufend Freiheiten in verlegerischen Fragen herausnimmt! Sie beide dürfen diese Art von Beschlüssen nicht treffen, das ist Sache des
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