Paradiessucher
Darfst gerade mal putzen oder bei der Post Briefe sortieren.«
Putzen. Briefe sortieren. Das stelle ich mir nicht als meine Lebensaufgabe vor.
Die Suppe schmeckt mir vorzüglich, Mutter schlürft nur herum, in ihrem Teller ist nichts verschwunden. Sie hat Sorgen, groß wie der Himalaja, und ich bin froh, dass das Bohren nach der unangenehmen Realität unserer Zukunft nachlässt. Sie ist müde, sagt sie nur. Sie soll sich hinlegen, sage ich. Einfach loslassen, sagen wir alle zu ihr. Wir passen auf sie auf. Sie tut es. Ihre Haare am Hinterkopf sind zerzaust, ich sehe sie selten in so einem verwahrlosten Zustand. Der Schlaf wird ihr guttun, versichere ich ihr. Endlich kann ich in Ruhe nach weiteren Informationen forschen, bezüglich unserer Bleibe.
So erfahre ich, dass ein Asylantenlager ein Haus für Ausländer aus verschiedenen Ländern ist. Wenn man den Schritt gewagt hat, hält man sich dort auf, ob man will oder nicht. Der Staat entscheidet. Bleiben oder Zurückkehren. Asyl oder Abschiebung. Das Wort Asyl höre ich zum ersten Mal.
Das Ehepaar kann auf viele meiner Fragen nicht antworten. Ob Duldung so was wie Abschiebung ist? Welche Konsequenzen sie nach sich zieht. Was für andere Möglichkeiten oder Alternativen es noch gibt. Die Quintessenz lautet: Wenn es schiefgeht, erwartet mich in Pùerov ein miserabler Job und Mutter geht in den Knast. Bravo. Das ermutigt.
In der Nacht schlafen wir wieder schlecht. Mutter ist vom Nachmittagsschlaf auf einmal fit wie ein Turnschuh, und ich kämpfe mit meinen obligatorischen Schlafstörungen. Wir lamentieren, weinen, Mutter bekommt einen Schnupfen aus dem Nichts, schnäuzt und niest wie ein Weltmeister. Und das mitten im Sommer. Immer wieder wägen wir alle Plus- und Minuspunkte gegeneinander ab, immer wieder stellen wir uns die gleichen Fragen, die Diskussion zieht sich endlos in die Länge: Sollen wir oder sollen wir nicht? Mutter lockt mich mit schönen Erinnerungen an Pùerov, an meinen Freund, an die Großeltern, Ben, meine Cousine Trubka, an meine beste Freundin Drobina, an meine Schauspielkarriere …
»Aber Mama, welche Schauspielkarriere? Bitte vergiss doch nicht, die ist futsch! Erinnere dich an meine letzte demütigende Prüfung in Prag. Erinnere dich an deine schlechte Laune, wenn du von der Arbeit nach Hause gekommen bist und nichts in der Einkaufstasche hattest, erinnere dich verdammt noch mal, dass wir uns monatelang den Arsch mit Zeitungen abgewischt haben, weil es kein Klopapier gab! Mensch, erinnere dich auch daran!«
Im Raum wird es still. Eine Leere. Leises Schluchzen. Monika und Jakub sind wahrscheinlich wach. So was kann man nicht überhören.
»Versprich mir bitte nur, dass du essen wirst«, versuche ich durch meine zugeschnürte Kehle zu sagen. Sie ist bockig und schweigt.
»Mama, wenn du mit Hungerstreik drohen möchtest, dann bitte, dann hast du gewonnen. Dann fahren wir zurück.«
Oh, wie ich es bereue. Es gefällt mir nicht, dies zu sagen. Ich gebe ihr damit das sichere Rezept in die Hand, wie sie mich zum Nachgeben zwingen kann. »Dann machst du mich zum unglücklichen Menschen«, füge ich hinzu.
Aber auch dies gefällt mir nicht. Keine Erpressung, nein, keine Erpressung. Bitte nicht so offensichtlich erpressen.
»Ich hab keinen Appetit. Ich habe einfach keinen Appetit. Ich bin zu nervös, und außerdem weiß ich nicht, was du hast, ich habe doch gegessen«, sagt sie wie ein kleines Mädchen.
Ich weiß in diesem Moment nicht mehr, wer von uns beiden die Mutter ist. Ich denke: wahrscheinlich ich.
»Was hast du gegessen! Das muss mir entgangen sein!«, schimpfe ich mit ihr.
»Ich habe heute Mittag doch gegessen.«
»Die drei Kartoffeln? Dass ich nicht lache!«
»Nein, nein, das waren nicht nur …«
Ich unterbreche sie mit ruhiger Stimme, nehme ihre Hand und drücke sie fest.
»Mama, entschuldige, ich will dich zu nichts zwingen, entschuldige, du kannst selbstverständlich tun und lassen, was du willst, und ich verstehe sehr gut, dass du Angst hast. Ich verstehe sehr gut, dass es für dich schlimmer ist als für mich. Ich weiß. Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber wir dürfen uns doch nicht von unseren Ängsten leiten lassen.«
Tränen kullern an unseren Wangen herab.
»Wir sprechen doch kein Deutsch, Leni, gar keins.«
»In der ersten Zeit werden wir uns mit meinem Englisch durchschlagen, ich verstehe doch Englisch. Und nach ner Weile, du wirst sehen, nach einer Weile haben wir Deutsch gelernt! Ganz sicher. Wir lernen diese
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