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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Das macht wahrscheinlich die bessere Ernährung hier, wahrscheinlich schluckt sie irgendwelche Tabletten für die Schönheit, oder sie benutzt spezielle Hauttinkturen. Wir dagegen, mit fahler Haut, dunklen Augenrändern, roten Lidern und gläsernen Augen, wirken wie zwei Kriminelle, die seit Jahren kein Sonnenlicht gesehen haben.
    »Das Einzige, was jetzt entschieden werden muss: ob ihr überhaupt bereit seid, diesen Schritt zu gehen. Denn ich habe so ein Gefühl, dass ihr euch noch gar nicht sicher seid.«
    Wie recht sie hat. Wir schweigen, schauen uns müde und aufgekratzt an, nicken kaum merklich mit dem Kopf.
    »Ihr könnt ohne Bedenken ein paar Tage hierbleiben. Wenn Tomášek sein Kinderzimmer aufräumen würde, könntet ihr durchaus dort übernachten.«
    Dabei kneift sie ihre Augen zusammen und wirft einen finsteren Blick in Richtung Kinderzimmer.
    »Überlegt es euch aber bald, denn falls ihr tatsächlich emigrieren wollt, solltet ihr euch die zukünftige Bleibe unbedingt vorher anschauen. Vielleicht schreckt ihr davor zurück, denn ein harter Weg ist es zweifellos. Hier fliegen einem keine gebratenen Tauben in den Mund«, sagt Jakub mit so ernster Mine, dass uns eisig wird.
    »Was meinst du damit? Was für eine Bleibe?«, fragt Mutter gespannt.
    Bisher haben wir uns über Bleibe & Co. keine Gedanken gemacht. Ein völlig neues Thema. Bleibe? Bleeiiibbbeee?!
    »Mach ihnen keine Angst, Jakub!«, schreit Monika aus der Küche dazwischen. »Es haben Tausende durchgehalten, warum sollten sie es nicht durchhalten!«
    Das Ehepaar spricht über uns in der dritten Person, als wären wir Kleinkinder oder einfach nicht da. Als würden wir nichts davon verstehen. Vielleicht haben sie recht, wir verstehen tatsächlich nichts. Wie naiv von uns. Mir schwirrt der Kopf, alles ist auf einmal so kompliziert, so ungewiss. Ich möchte mich nur hinlegen und im Arm meines Freundes ruhen.
    »Unser Weg war ein anderer, Monika. Das kannst du nicht vergleichen. Wir mussten in kein Asylantenlager gehen. Wir haben von Anfang an Leute gekannt, die uns unter die Arme gegriffen haben. Im Asylantenlager zu leben, wer weiß wie lang … Zwei junge Frauen aus dem Osten, nein, das ist kein Zuckerschlecken.«
    »Hör auf, Jakub! Kommt, das Essen ist fertig. Das könnt ihr später besprechen. Tomáši! Essen!«, ruft Monika.
    Tomášek spielt im Kinderzimmer und denkt gar nicht daran zu kommen.
    »Was ist ein Asylantenlager?«, frage ich, während die Suppe mit Leberknödeln aufgetischt wird.
    »Ein Emigrantengefän …«
    »Ein Hotel für Flüchtlinge«, unterbricht Monika schroff ihren Mann.
    »Ist doch prima, ein Hotel, das klingt gut«, meint Mutter. Monika rollt mit den Augen und schaut Jakub an.
    »Die meisten Flüchtlinge wissen nichts, Jakub.«
    Schon wieder sprechen sie über uns in der dritten Person. Eine eigenartige Angewohnheit.
    »Sie sollen es sich ansehen. Ich halt mich da raus.«
    »Ja, halt dich da raus«, sagt Monika.
    »Wenn die bleiben, gibt es kein Zurück mehr.«
    Er wendet sich an uns. »Oder glaubt ihr, dass das Leben in Pùerov, nach einer glorreichen Rückkehr, so weitergehen würde wie bisher?«
    »Ich verstehe nicht«, mische ich mich ein.
    »Darum geht es nicht, Jakub!«, sagt Monika.
    »Ich würde ins Gefängnis gehen müssen!«, sagt Mutter dazwischen. Ihre Suppe hat sie noch nicht angerührt.
    »Ich meine, nach einer misslungenen Flucht, das meine ich mit glorreich, verstehst du, Leni?«
    Jetzt wird es wild. Alle reden durcheinander, wiederholen sich und meinen zu verstehen, was der andere meint. Jeder redet von was anderem. Ein Chaos.
    »Rechne mit fünf Jahren, Nado«, hört man Jakub durch das Kuddelmuddel hindurch.
    »Was? Fünf Jahre?«, platzt es aus mir heraus. »Fünf Jahre Gefängnis? Für was?«
    »Nado, iss doch die Suppe.«
    Monika sorgt sich, denn meine Mutter wird auf dem Stuhl immer kleiner.
    »Drei Jahre für Vaterlandsverrat und zwei für die Entführung des eigenen Kindes.«
    Dazu sagen wir nichts.
    Meine arme Mutter, denke ich. Erst mal will sie nicht flüchten, wird von mir wie ein Pferd getrieben, und im Falle einer Rückkehr würde sie für uns beide büßen. Das ist grauenhaft.
    »Und ich? Was würde mit mir passieren, Jakub?«
    »Du würdest vermutlich keine Ausbildung beenden können, keine gute Arbeit kriegen, ständig Schwierigkeiten haben. Wenn eine Emigration in deinen Papieren steht, wirst du es nie wieder los. Du wirst sie nie mehr ausradieren können. Bist eine Landesverräterin.

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