Paradiessucher
Sprache!«, versichere ich ihr und zerquetsche ihr die Hand.
»Du vielleicht. Ich bin ein Sprachen-Antitalent«, sagt sie kaum hörbar.
»Mami, du hast es nie in deinem Leben wirklich versucht.«
»Doch, ich habe einmal einen Deutschkurs gemacht und nichts gelernt.«
»Ja, vielleicht im Hausfrauenförderkurs!«
Wir schweigen erneut. Meine Augen brennen vor Müdigkeit und Weinen, die Herz-Magengegend fühlt sich wie ein leeres Gefäß an. Mama trocknet sich die Tränen, schnäuzt sich kräftig, geht auf die Toilette, und als sie zurückkommt sagt sie: »Wir versuchen es, Leni. Wir bleiben.«
Dann legt sie sich leise ins Bett und zieht die Bettdecke über sich, bis sie verschwunden ist.
»Allerdings müssen wir morgen abreisen«, tönt es dumpf unter der Decke hervor.
Einerseits freue ich mich über ihren Entschluss, andererseits merke ich, wie sich, kaum ist der Satz ausgesprochen, das leere Gefäß, meine Magengegend, mit Angst füllt und überquillt, als wäre es voller Sprengstoff.
Wir sitzen bei Monika und Jakub am Frühstückstisch. Heute reisen wir ab. An die Croissants gewöhne ich mich allmählich, es fällt mir tatsächlich nicht schwer, auf rohlíky zu verzichten. Für möglich gehalten hätte ich das nicht. Und es werden demnächst noch einige andere Neuheiten in mein Repertoire kommen: runde Weizenbrötchen, genannt »Semmeln«, und Kaffee mit Milch. Ein Schuss Milch im Kaffee ist mir am Anfang genauso verpönt gewesen wie krumme rohlíky in Süß.
DAS GRANDHOTEL OHNE CONCIERGE
Es gibt ein Asylantenlager in Südbayern, in dem sich vorwiegend Asylanten aus den Ostblockländern aufhalten. Dort habt ihr keine Pakistanis oder Afrikaner am Hals, nur Polen, Albaner und so weiter.«
Mama schreibt alles sorgfältig auf, was Jakub diktiert, und wir müssen lachen, weil keiner von uns weiß, wer schließlich besser ist. Polen oder Afrikaner? Die Polen klauen, Afrikaner sind zu fremd, Albaner zu aggressiv, Jugoslawen zu laut, Tschechen zu faul, Russen zu stolz. Alles läuft irgendwie aufs Selbe hinaus.
»Asylanten? So nennen sie sich? Das ist ja ulkig«, scherze ich.
»Ja, Asylanten. Der Ort heißt Königssee. Ziemlich weit von hier. Soll ganz hübsch sein.« Kenize, schreibt Mama auf ihren Zettel.
»Warte mal, das ist falsch. Ein Kenize gibt es nirgendwo auf der Welt, Nado, lass mich das aufschreiben.«
Er nimmt ihr lächelnd den Zettel aus der Hand und kritzelt.
»Na, das fängt ja gut an, alles, was ich tue, ist falsch.«
Und sie muss selber über sich schmunzeln.
Königssee liegt dort, wo wir hergekommen sind. Die österreichisch-tschechische Grenze ist nah, es fühlt sich an, als würden wir nach Hause fahren. Einfach nach Hause. Die dichten Nadelwälder, unberührte Natur, Berge, deren Spitzen selbst im Sommer mit Schnee bedeckt sind, ländliche Bebauung, idyllisch. Die deutsche Seite ist aufgeräumter.
In Königssee frage ich ein paar Passanten, es scheinen deutsche Touristen zu sein, nach einem Asylantenlager. Auf Englisch, versteht sich, beziehungsweise in einer Sprache, die der englischen ähnlich ist. Also in meinem Englisch. Sie verstehen sofort, was ich meine. Entweder ist das Asylantenlager so bekannt, oder mein Englisch ist exzellent. Sie machen sich nicht die Mühe, verbal zu antworten, sondern zeigen mit einem Arm und ausgestrecktem Zeigefinger in eine Richtung, murmeln etwas Unverständliches und gehen weiter. Nicht unbedingt galant.
»Wir haben Glück, dass sie Bescheid wissen«, flüstert Mutter mir ins Ohr, als wäre sie Sherlock Holmes, der gerade auf eine heiße Spur stößt.
Ich finde meine Mutter herrlich. »Ja, stimmt.«
Wir setzen uns wieder ins Auto und fahren los. Schon wenige Meter weiter erkennen wir unser Ziel.
»Schau. Schau da hinten! Sporthotel.«
»Nein, ein Sporthotel ist doch kein Asylantenlager, oder?«, antworte ich wie Dr. Watson und rücke dabei meine Sonnenbrille zurecht. Sie ist ausgeleiert.
Wir fahren ganz langsam an dieses merkwürdige Hotel heran, das sich verlassen am Ortsrand, fast schon im Wald, befindet. Wir sind genau richtig. Blitzschnell wird uns klar, dass sich in diesem vermeintlichen Sporthotel tatsächlich ein Asylantenlager versteckt. Die Menschen, die friedlich bis gelangweilt vor dem Eingang des Hotels in Grüppchen herumstehen oder auf zusammengewürfelten Stühlen sitzen, sind eindeutig keine Deutschen. Ich merke es nicht an der Hautfarbe, nein, »weiß« sind sie alle, es ist vielmehr ihre Art des Seins, die sichtbar anders ist.
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