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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Russisch ist uns verhasst, keiner kann es wirklich. Wie soll ich eine Sprache mit Widerwillen lernen, sei sie der Muttersprache noch so ähnlich? Eine Sprache, die von Menschen gesprochen wird, die mich Tag für Tag meiner Freiheit berauben.
    Slowakisch spricht jeder Tscheche automatisch. Diese zwei Sprachen sind sich am ähnlichsten und vermischen sich ständig. Im Fernsehen, bei den Politikern, im Radio, Theater, einfach überall vermischen sie sich. Es spielt keine Rolle. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die Slowaken sich benachteiligt fühlen. Vielleicht haben sie recht.
    Ich mag die Slowaken ganz gerne, sie sind erdverbundener als die Böhmen. Die eingebildeten Böhmen verarschen mich, weil ich hannakischen Dialekt spreche. Es klingt, wie soll ich sagen: bäuerlich. Oder naiv. Kindisch.
    Na und? Dafür singen die Prager ihren Dialekt unerträglich. Ach, wozu soll ich mich hier aufregen? Hier im Asylantenlager. Ich werde froh sein, wenn ich mit jemandem quatschen kann, und zwar so, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
    Ich identifiziere eine neue Sorte von Geräuschen. Fernseher, Radios, Mixer, Waschmaschinen, Klospülungen und andere Wassergeräusche sowie Schleif-, Klopf-, und Bohrgeräusche. Bunt geht es hier zu. Nie tritt Ruhe ein. Aus manchen Ecken höre ich Streiten, Kinderschreie, das Weinen eines Säuglings, lautes Lachen oder den Versuch eines Liedes, das in den Ohren wehtut.
    Mama und ich stehen sprachlos da. Eine hermetisch abgeschlossene, eigene Welt prallt uns entgegen.
    Wir versuchen möglichst unauffällig durch die Gänge zu kommen, manchmal werden wir aber von jemandem angesprochen. Wir schütteln mit den Köpfen und gehen weiter. In jedem Zwischenstock des Treppenhauses befindet sich eine Küche. Nein, etwas einer Küche Ähnliches. Mehrere nebeneinanderstehende Kochplatten sind durchgehend im Einsatz. Menschen mit Lebensmitteln in der Hand warten, bis eine Kochplatte frei wird. So bildet sich in jedem Zwischenstock eine »Kochschlange«, die vor Absurdität nur so strotzt. Obwohl der Zeigefinger meiner Uhr auf vier zeigt, wirkt es hier, als wäre gerade Mittagszeit. Die Bewohner stecken sich mit den Kochgerüchen gegenseitig an, sodass alle nur ans Essen denken – alle wollen kochen. Das könnte es sein, ich weiß es nicht. Äußerst übertrieben. Eine junge Frau fällt uns auf, die gerade Pfannkuchen zubereitet. Sie spricht tschechisch mit ihrem etwa zweijährigen Kind, mit Ostrauer Dialekt.
    »Entschuldigung für die Störung, meine Tochter und ich kommen ebenfalls aus der Tschechoslowakei … wir … wir würden auch gerne flüchten. Würden Sie uns dieses Asylantenlager empfehlen?«, tastet sich meine Mama vorsichtig an die mürrische Frau heran.
    Ohne uns anzuschauen, rührt sie weiter in ihrem schlechten Pfannkuchenteig und sagt monoton: »Ich weiß nicht, ob gerade dieses Asylantenlager gut ist. Ich habe kein anderes kennengelernt.«
    Wir schweigen, schauen uns an. Meine Mama beugt sich zu dem Kind und fragt es: »Und du, Kleiner? Wie heißt du denn?
    »Joe«, antwortet seine Mutter.
    Einen extravaganten Namen hat sich die Lady für ihr Kind ausgesucht. Meine Mutter schaut verwirrt. Sie formt ihren Mund so komisch, und ich ahne, dass sie den Namen des Kindes wiederholen möchte. Nein, schon vergessen, wie man den Namen ausspricht. Gott sei Dank, es würde ihr eh nicht gelingen.
    »Wie alt ist denn Ihr Sohn?«, wirft sie freundlich der Mutter zu, um die Situation ein wenig aufzulockern und ins Gespräch zu kommen.
    »Zwei. Und es ist ein Mädchen.«
    »Oh.«
    Es hat keinen Sinn. Die Frau ist zu nichts zu bewegen, kein Wort zu viel, kein Interesse, kein Anstand, keine Freundlichkeit, nein, diese Frau muss ziemlich frustriert sein. Und dann noch dieses Fettnäpfchen mit dem Mädchen. Wir drehen uns in Zeitlupe um und wollen gerade weitergehen, da wendet sich meine Mutter noch einmal an die Frau.
    »Und wie lange sind Sie schon hier?«
    »Zweieinhalb Jahre.«
    »So lange? Sie sind seit zweieinhalb Jahren hier? Wieso?!«, fragt meine Mutter geschockt.
    »Wir warten, also mein Mann und ich, auf Amerika. Wir warten auf das amerikanische Asyl. Es kann noch ein Jährchen dauern.« Zum ersten Mal würdigt uns die Frau eines Blickes, der mir zynisch erscheint.
    »Ist es üblich, dass es so lange dauert?«, hake ich sofort nach.
    »Na ja, wenn man Amerika beantragt, dann schon. Beantragen Sie Deutschland, kommen Sie normalerweise schneller nach draußen.« Sie nennt es »nach draußen«. Es

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