Paradiessucher
klingt nach Eingesperrtsein, nach Gefängnis, nach Unfreiheit. Eigentlich klingt es genau nach dem, wovor ich gerade flüchte.
»Dann kennt der Kleine, Entschuldigung die Kleine, nichts anderes als das hier?«, frage ich.
Ich Idiot lasse mich von meiner Mutter noch anstecken. Ich sehe sie an, meine Mutter schmunzelt. Nein, sie ist kurz davor loszuprusten.
»Joe wurde hier geboren. Ich habe auch hier meinen Mann kennengelernt und geheiratet.«
Ich bin sprachlos. Eine ganz und gar eigene Welt.
Wir bleiben nicht länger, es gibt nichts weiter zu sehen, zu erkunden, nichts, was uns interessiert, was wir noch wissen müssen, um uns einen besseren Eindruck zu verschaffen. Wir sind so oder so schockiert. Leider wirft uns diese neue Erfahrung zurück ins Ungewisse. Diese unangenehme, ewige Unsicherheit. Die Angst, einen Fehler zu machen. Immer noch haben wir Zeit, ganz einfach nach Hause zu fahren. Niemand würde was bemerken. Die Familie, unsere Freunde, Bekannten oder Kollegen würden alles ahnungslos hinnehmen, die mitgebrachten Dinge bewundern, alles glauben, was wir ihnen erzählen. Und die, die von unserem Plan wissen, würden es sicher schnell akzeptieren, sich freuen, dass wir wieder da sind, und die Welt wäre so heil wie immer …
Aber ist sie wirklich so heil? Wo liegt das Glück? Liegt es an dem Ort, an dem man lebt? Liegt es im eigenen Charakter? Liegt es im Geld? Oder liegt es überall? Millionen Gedanken fliegen kreuz und quer in meinem Kopf herum. Ich weiß langsam gar nichts mehr, will nicht bleiben, will nicht zurückfahren, will nicht woanders hinfahren. Ich will nur, dass alles wieder gut wird. Ich will wieder lachen.
MÄNNER IN GRÜN
Es dämmert. Wir parken vor der Berchtesgadener Polizeistation. Diese blöden, immer wiederkehrenden Tränen, literweise fließen sie. Woher? Woher kommt diese alles beherrschende Sentimentalität?
Wir sitzen bestimmt eine Stunde im Auto, regungslos, als würde die kleinste Bewegung eine Entscheidung beschleunigen, die wir in diesem Moment keineswegs treffen können. Vielleicht wollen wir hier so lange sitzen bleiben, bis wir es nicht mehr aushalten. Vielleicht warten wir auf einen entscheidenden Impuls …
»Lass uns aus dem Auto aussteigen und an der frischen Luft weiterüberlegen«, sage ich unschlüssig.
Es wird dunkel, und wir haben für diese Nacht noch keinen Unterschlupf. Ich habe keine Lust, im Auto zu schlafen.
»Ich bin so verzweifelt, Leni.«
»Ich auch, Mama, du kannst dir das nicht vorstellen.«
Mit diesen Worten steige ich aus dem Auto und schleiche zum Eingang der Polizeistation. Plötzlich wird die Tür geöffnet, und mir gefriert das Blut in den Adern. Zwei Polizeibeamte kommen heraus. Ohne mich zu bemerken, steigen sie in ein parkendes Auto und verschwinden. Mutter, bleich im Gesicht: »Gott sei Dank haben sie uns nicht gesehen, ich habe keine Ahnung, was wir hätten sagen sollen.«
»Tja, das ist eine gute Frage. Was sagen wir eigentlich?«, frage ich sie.
»Na, dass wir hierbleiben wollen.«
»Und das soll reichen?«
»Weiß ich’s, du Witzbold?«
»Und wie soll ich es sagen? Auf Englisch?«
»Na, Tschechisch ganz sicher nicht«, erwidert sie mit den Nerven am Ende.
»Ich, ich hab keinen blassen Schimmer, wie man so was auf Englisch sagt! Ehrlich!«
»Wir haben uns entschieden, unser Land zu verlassen, sagst du.« Mama schmeißt mit den Sätzen nur so um sich, als würde mir das englische Wort für »verlassen« überhaupt kein Problem bereiten. In keiner unserer raren Englischstunden ist, soweit ich mich erinnern kann, verdammt noch mal das Wort »verlassen« vorgekommen!
»Ich hab keine Ahnung, was ›verlassen‹ auf Englisch heißt! Verstehst du? Mein Englisch ist miserabel.«
»Du hast aber gestern noch angegeben, dass die Sprache überhaupt kein Problem für uns wäre. Bla, bla, bla! Von wegen in der ersten Zeit quatsche ich Englisch … Das hast du gestern noch gesagt!«
»Ich weiß schon, wie es heißt!«, unterbreche ich sie sauer. »Lass uns lieber endlich reingehen, wenn du jetzt schon so munter geworden bist.«
Sie steigt aus dem Auto, geht energisch auf die Tür zu, tut so, als ob sie tatsächlich reingehen würde. Ich weiß von vornherein, dass sie ihr Vorhaben abbrechen wird. Und tatsächlich, sie hält plötzlich inne: »Äh … hnu … egr … hab meine Handtasche vergessen.«
Sie bewegt sich in Zeitlupe, ziellos. Alles blasiges Gerede. Sie steht auf der Stelle und trippelt auf ihren dünnen Beinen vor sich
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