Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
Vom Netzwerk:
mit den Armen. Ich verstehe schon wieder nicht. Dann geht einer zur Tür, öffnet sie und winkt wieder mit den Armen. Mir geht ein Licht auf. Folgen. Richtig. Wir rühren uns von der Stelle.

ZWISCHENSTATION AN DER TANKSTELLE
    Der Streifenwagen fährt durch die Dunkelheit, wir hinterher. Abenteuerlich. Es dauert nicht lange. Am Ortsschild der Gemeinde Bayerisch Gmain gebieten sie uns anzuhalten. Der Motor unseres Fiats erstirbt, unser Atem auch. Zu spannend. An einer stark befahrenen Hauptstraße, gegenüber einer Esso-Tankstelle, steht ein Haus. Pension Alpgarten. Viel mehr kann ich nicht erkennen, es ist schon stockdunkel. Mit unseren Jungs in Grün fühle ich mich sicher, leider nur kurz. Sie steigen nicht aus, sie fahren weg. Wie bedauerlich. Wir stehen hier, an diesem dunklen, unbekannten Ort, abgestellt wie eine olle Vase.
    »So, das wär’s. Jetzt ist es so weit, Leni. Jetzt hast du erreicht, was du erreichen wolltest. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Pässe sind weg.«
    »Ich weiß, Mutter. Du tust so, als wäre ich ständig an allem schuld. Bereust du es jetzt schon?«
    »Ich weiß noch nicht. Du?«
    »Ich denke nicht dran«, antworte ich teilnahmslos. Ich weiß, dass meine Mutter eine Art Dankbarkeit von mir erwartet. Ich bin ihr aber nicht dankbar. Sie sollte mir dankbar sein, denn ohne mich würde sie nächste Woche um sechs Uhr in der »Oficína« Lockenwickler heiß machen.
    »Ich hab jetzt schon Heimweh«, sagt sie.
    »Ich nicht, ich bin froh, dass wir uns so entschieden haben.«
    Ich gebe nichts zu, verspüre aber unfassbares Heimweh. Mein Herz blutet, ich friere und könnte jede Sekunde losheulen. Es fühlt sich beklemmend an, einfach nur beklemmend. Und ich bereue es natürlich. Jetzt, wo es zu spät ist, bereue ich es. Ich kann gar nicht an meine Heimat denken, ich würde schreien vor Verzweiflung. Nur die Gegenwart und die Zukunft darf ich vor Augen haben. Das Einzige, was mir übrig bleibt. Ich werde mich hoffentlich eines Tages erinnern und sagen, Gott sei Dank bin ich damals gegangen. Ich weiß, dass es richtig ist.

ASOZIALE BADELATSCHEN
    »Wen haben wir denn da? Frischfleisch.«
    Das soll witzig sein. Der dauergewellte Tscheche hat die Sensibilität eines Metzgers. Er sitzt breitbeinig mit seinen Badeschlappen und seiner weiß-blauen Jogginghose im Foyer der Pension. Der Schnauzer und die Blondierung seiner Haare beweisen einen wirklich miesen Geschmack, und ich bin sauer. Ich finde es ekelhaft, so von ihm begrüßt zu werden.
    »Guten Abend«, sagt meine Mutter schüchtern.
    »Guten Abend, meine Damen, willkommen in unserer Pension Alptraumgarten«, schäkert der Blonde weiter, als wäre er der Chef des Ladens.
    Wir sind mit allem überfordert, können weder einen flotten Spruch zurückwerfen noch uns anders verteidigen. Eigentlich nicht meine Art. In Pùerov war meine Zunge immer gut geölt.
    Der Blonde spricht zwar Tschechisch, aber nur in rätselhaften Papierkorbsätzen. Es ist unangenehm, dass die Polizeibeamten weg sind, wir zwei Memmen stehen da, uns gegenüber eine Überzahl fremder asozialer Flüchtlinge, kein verantwortlicher Mensch weit und breit, der uns empfängt, uns informiert, sich für uns einsetzt. Zum Kotzen!
    »Woher kommt ihr?«, fragt ein anderer auf Slowakisch. Er sieht aus wie der Sänger von U2.
    »Pùerov.«
    »Ah, Hannaken! Leute, das sind Hannaken! Ich liebe diesen Dialekt. Kenne hier eine Menge Hannaken.«
    Der Blonde ist prollig und plump. Jetzt wagt er es, ein frauenfeindliches hannakisches Gedicht zu krähen. Er stellt sich sogar hin und gestikuliert unflätig. Typisch.
    »In einem kleinen Haus
    auf einem Hügel
    lebte ein Männlein
    mit einem feschen Frauenzimmer.
    Und das Frauenzimmer
    hat das Männlein
    nicht geliebt,
    es hat das Männlein nicht geliebt.
    So wurde das Männlein wütend,
    dass es so dumm war,
    ging in die Kneipe
    und versoff seinen Lohn.
    Dann grollte es wie hundert Donner
    und schlug das Frauenzimmer zusammen.
    Und auf einmal liebte das Frauenzimmer das Männlein,
    Johannes hier, Johannes da,
    ich hab dich ja so gern.«
    Ich verdrehe die Augen.
    »Fertig? Sehr witzig. Kenne ich aber schon.«
    Es gibt keinen Depp, der sich zu schade ist, dieses dumme Lied zu singen.
    »Was passiert mit uns? Können wir hier wohnen?«, unterbricht mich Mama missmutig.
    »Wenn was frei ist. Die Chefin kommt gleich. Piano, meine Damen«, sagt eine Frau in türkisfarbener Jogginghose. Die Farben der Jogginganzüge variieren hier. Türkis, lila, pink. Es

Weitere Kostenlose Bücher