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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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vorstellen, wie ernst die Lage ist.
    Ich bepisse mich vor Lachen, natürlich so, dass sie es nicht merkt, und gleichzeitig möchte ich sie umarmen, weil sie mir so leidtut. Wie ein Häufchen Elend, das nicht sprechen, schreiben und lesen kann, beugt sie sich über den blauen Wisch. Dabei kann meine Mutter äußerst gesprächig sein. Sie kann aufdrehen und erst Stunden später wieder aufhören. Und wie sie streiten kann! Königlich! Sie muss immer das letzte Wort haben. In der Heimat hat sie die Chronik der »Oficína« geführt. Sie hat sie beschriftet und bemalt. Für ihre schöne Schrift war sie bekannt, und die Zeichnungen hätten von einem Künstler sein können. Und im Landratsamt kann sie nicht mal unterschreiben.
    Seit unserer Abreise schreibe ich unzählige Briefe an Pavel, Drobina und Trubka. Ich bekomme aber keine Antwort. Das wundert mich. Am Anfang, als wir noch nicht entschieden hatten, ob wir bleiben oder nicht, waren meine Briefe nur nette Urlaubsgrüße mit Beschreibungen der Erlebnisse. Doch jetzt, da wir zu echten Asylanten geworden sind, rücke ich mit der Wahrheit heraus. Ich schreibe unverhohlen, was mir auf der Zunge liegt, prangere alles an, was verlogen, manipulativ oder ungerecht auf unserem Gymnasium war. Alles wird genauestens seziert: unsere Lehrer, deren feige Anpassungsfähigkeit, das System, meine Abneigung ihnen gegenüber, bis hin zur Hakennase des Direktors und seinen Verhörmethoden. Keine Antwort. Weder Drobina noch mein Freund noch meine Cousine Trubka melden sich bei mir. Dabei schreibt Trubka sehr gerne, das weiß ich.
    »Mami, könnte ich zu Hause anrufen?«
    »Bist du verrückt? Weißt du, was das kostet?«, fragt sie.
    »Ich hab doch noch gespartes Geld, Mutter. Ich weiß nicht, was los ist. Keiner meldet sich bei mir.«
    »Nein, das ist zu teuer! Und wenn wir überhaupt jemanden anrufen, dann Opa und Oma. Oder Jarek! Aber nicht deine Kumpane. Das hat die Welt noch nicht gesehen. Telefonieren! International! Bist du auf den Kopf gefallen!«
    Typisch.
    Ich akzeptiere es nicht. Es ist nun mal mein Geld, und mit meinem Geld kann ich tun und lassen, was ich will. Und wenn schon, meine Mutter muss schließlich nicht alles wissen! Ich schleiche mich zum Büro der Pension, ich weiß, dass viele Flüchtlinge vom Büro der Chefin aus nach Hause telefonieren. Es soll billiger sein als von der Telefonzelle. Sie hat nämlich irgendeinen Apparat, der anzeigt, was es kostet. Meinen Freund anzurufen traue ich mich nicht. Das schaffe ich einfach nicht, und außerdem müsste ich ihm recht geben, dass es hier, wie er vermutet hat, nicht so rosig ist.
    »Trubi, Trubi! Ich bin’s, Lenka. Ja, ich bin’s, Lenka.«
    Trubka ist völlig von den Socken.
    »Nein! Lenka, das kann nicht wahr sein! Wo steckst du!? Kommst du nicht mehr zurück?«, schreit sie panisch in den Telefonhörer, als müsste sie die Entfernung durch ihre Lautstärke überbrücken.
    »Nein, Trubi. Wir bleiben.«
    »Ich hab’s mir gedacht. Das ist ja schrecklich.«
    »Ja. Trubi, ich kann nicht lange telefonieren, das ist sehr teuer. Warum antwortest du nicht auf meine Briefe?«
    »Ich bekomme keine. Sie werden von der Polizei beschlagnahmt.«
    »Ach du lieber Himmel!«
    »Deiner Klassenlehrerin wurde nur ein Brief von der Polizei weitergeleitet.«
    »Wieso meiner Klassenlehrerin? Suchánková?! Ich habe ihr nie geschrieben!«
    »Ich weiß auch nicht«, brüllt Trubka.
    »Wieso? Was stand drin?«
    »Er war ziemlich böse und vulgär.«
    »Ja, richtig so, endlich erfährt sie die Wahrheit von mir.«
    »Den Direktor und Suchánková ziehst du durch den Kakao.«
    »Ja, das war der letzte schlimme Brief. Aber ich hatte ihn an Drobina adressiert. Die Schweine.«
    »Suchánková ist mit ihm zum Direktor gegangen.«
    »Bestens!«
    »Und Drobina hat ihn in der Aula vor allen Schülern und Lehrern vorlesen müssen.«
    »Was?!«
    Auf einmal dreht sich mir der Magen um.
    »Sie hat angeblich schrecklich geweint, während sie das gelesen hat, und der Direktor hat sie vor allen wüst beschimpft. Die Arme. Hat ihr mit Rausschmiss gedroht und so. Und das jetzt, kurz vor dem Abi, ist natürlich nicht so gut für sie. Ansonsten hat niemand von dir einen Brief bekommen. Soweit ich weiß.«
    Diese Schweine. Diese verfluchten Schweine. Sie wissen sich zu rächen. Oh, wie unvorsichtig von mir! Wie naiv und dumm. Oh nein! Was habe ich da getan. Das kostet Drobina den Kragen. Wie konnte ich glauben, dass meine Briefe nicht gelesen werden. Was für eine

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