Paradiessucher
sie und widmet sich weiter der Seifenabteilung.
»Ach, das sind sehr saure Früchte. Kiwi. Nicht besonders lecker«, meint der dauergewellte Blonde klugscheißerisch. Ich nehme das mir fremde Gewächs in die Hand und betrachte es genau.
»Eine lustige Oberfläche. Wie isst man das?«, frage ich den Blonden, da er ja offenbar die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.
»Ganz normal, wie einen Apfel, mein Herz.« Ein Exemplar der braunen Bällchen landet im Korb.
»Hör auf damit.«
»Was denn?«, antwortet der Blonde.
»Ich bin nicht dein Herz.«
Er lächelt neckisch, schleicht sich an meine Mutter heran und drückt sie von hinten fest an sich. Sie kichert wie eine Pubertierende.
»Stimmt, du bist es nicht, aber die hier«, sagt er lüstern.
Ich hasse ihn.
»Ba-siliku-m?«, buchstabiere ich umständlich. »Wofür ist das?«
»Gewürz. Zum Kochen. Schmeckt nach nichts«, sagt er.
»Mutter, probieren wir Basilikum?«
»Lass mal, fremde Kräuter, nein, das kann am Ende giftig sein. Vielleicht ist es eine Dekoration. Lass mal liegen, Lenko.«
Ich packe es in den Warenkorb, weil ich generell alles tue, was Mutter verbietet.
Zu Hause esse ich die Kiwi. Mit Schale, wie einen Apfel. Ein sogenanntes Müsli kippe ich in eine Tasse und verputze es. Ziemlich trocken. Was finden die Leute daran so toll? Chips sind besseres Knabberzeug.
Wir schlagen die Tage mit Nichtigkeiten tot. In freiwilliger Isolation. Zur Welt da draußen haben wir keinen Kontakt. Wir leben in unserer eigenen Welt. Einer Welt auf wenigen Quadratmetern. Ich versuche zwar dilettantisch aus meinem Buch »Sprechen Sie Deutsch?« ein paar Wörtchen zu erhaschen, aber viel kommt nicht dabei heraus. Drobina hätte das Schulbuch, das sie mir liebevoll vor der Abreise geschenkt hat, besser selber behalten sollen, sie hätte wahrscheinlich mehr davon gehabt. Abgesehen davon, dass sie sich bei der Bücherrückgabe etwas Originelles ausdenken muss, damit man ihr nicht die vier Kronen abknöpft. Sie ist ein herzensguter Mensch. Ich vermisse sie sehr.
LYDIA HAT EINEN KRAMPF DA UNTEN
Frischfleisch ist angekommen. In der Pension. Eine Slowakin. Sie heißt Lydia und ist ein Jahr jünger als ich. Wir lernen uns kennen, verstehen uns aber nicht besonders. Ich finde sie seltsam. Pubertär. Durch den skurrilen Zwang der Gemeinsamkeit müssen wir uns anfreunden, unsere Tage, unsere künstlichen Tage des Wartens, zusammen verbringen. Die, die uns nicht kennen, halten uns für Schwestern. Es gefällt mir nicht, vielleicht deshalb nicht, weil sie für meinen Geschmack kotzhässlich ist. Nein, hässlich sehen wir beide nicht aus, aber die Pubertät verunstaltet uns. Zwei glänzend fettige, verpickelte, stillose und naive Gestalten, die kein Mensch ernst nimmt. Der gravierendste Unterschied zwischen Lydia und mir sind die Brüste. Sie trägt einen Ballast mit sich herum, ich dagegen ein Paar Radieschen. Um ihre riesigen, wohlgeformten Bälle beneide ich sie. Ansonsten stinken wir nach Pubertät.
Im Gemeinschaftsraum wird rund um die Uhr Video geglotzt. Einer sitzt immer davor. Bei manchen Klassikern wie Rocky oder Scarface schaut selbst die Chefin mit, und das zum hundertsten Mal. Während bei ihr im Büro das Telefon Sturm klingelt, sitzt sie schmachtend da und kann sich nicht von den dunklen Augen von Al Pacino losreißen. Da lässt sie jegliche Kundschaft sausen. Und wenn sie »ein geiler Typ« sagt, dann nehme ich an, dass das so was wie »ein toller Mann« bedeutet. Es kommt häufig vor.
Es wird alles angeschaut, was zu Hause nicht zu kriegen war. Das beliebteste Genre sind Pornofilme, die selbst Küken wie wir mit anschauen dürfen.
»Ich hab da unten so einen Krampf«, sagt Lydia plötzlich, vor allen Pensionsinsassen, laut, ein Schmalzbrot kauend, als würde sie über Kopfschmerzen sprechen. Ein entblößender Moment. Ich habe natürlich auch einen Krampf »da unten«, aber muss sie es so in die Runde werfen, während gemeinsam ein Pornofilm angeschaut wird? Ein Porno! Hilfe! Der erste Pornofilm in meinem Leben! Ich tue so, als würde mich die glitschige Angelegenheit gar nicht interessieren, als würde ich gelangweilt mit nur einem halben Auge zusehen, dabei steht mir der Atem still. Ich kann mich kaum sattgucken. Und Lydia sagt mir nichts, dir nichts: »Ich hab da unten so einen Krampf.« Ich reagiere nicht auf die Peinlichkeit, so als hätte ich nichts gehört, dafür lachen die anderen umso mehr und fragen unverhohlen, wo genau der Krampf wäre. Lydia ist
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