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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Licht meiner kleinen Nachttischlampe aus und schließe die Augen. Ich will nach Hause. In das alte Zuhause, wie wir es kannten. Ich fühle mich so einsam, verlassen, ohne Boden unter den Füssen. Hätte ich den Zauberring der Märchenprinzessin Arabella, würde ich alles wieder ungeschehen machen.

EIN CRASHKURS FÜR FLINKE FINGER
    Mama und ich verändern uns, werden abgebrüht, verlieren unsere Naivität. Wir wissen, was uns erwartet: Asyl oder Duldung oder Abschiebung. Auf alle Fälle bleiben wir noch einige Monate hier. Erhalten wir eine Duldung, heißt das, dass unserem Asylantrag nicht stattgegeben wurde. Vielleicht werden wir in unser Heimatland abgeschoben. Vielleicht auch nicht. Die wildesten Gerüchte kursieren, was passiert. Ein Schwall bürokratischer Schriftstücke prasselt auf uns ein, und wir haben meistens keine Ahnung, worum es überhaupt geht. Niemand spricht hier Deutsch, geschweige denn Amtsdeutsch. Ein böhmisches Dorf.
    »Du kannst dich in Stücke reißen, wenn du eine Duldung bekommst, bist du im Arsch«, erzählt man im Zimmer der Männer, die mir meine Zigaretten drehen. »Es geht so schnell, dass du nicht mal den Grund der Abschiebung erfährst.«
    Davor fürchtet sich jeder Ausländer hier, denn das Wiederaufbauen der Existenz zu Hause, auch wenn man nicht politisch verfolgt wird, ist ein Himmelfahrtskommando.
    Abschiebung folgt auch dann, wenn man sich nicht artig in der neuen Gesellschaft benimmt. Es ist mir daher ein Rätsel, weshalb wir uns mit Maria einlassen.
    »Nado, guck mal, was ich Neues habe.«
    Mutter schaut sich mit aufgerissenen Augen die verschiedenen Lippenstifte in allen Regenbogenfarben an, testet sie gierig auf der Innenseite ihres Arms, riecht daran und kann sich gar nicht mehr von ihnen trennen.
    »Die hab ich mit Jasna in einem kleinen Kosmetikladen erobert.«
    Maria nennt stehlen gerne »erobern«. Jasna lacht mit ihren hässlichen braunen Zähnen, eine Zigarette in der Hand. Sie steht kurz vor der Entbindung. Ihr Bauch ist mittlerweile riesig, sie könnte ihn als Abstelltisch benutzen.
    »Ja? In einem Kosmetikladen? Weit von hier?«, fragt meine Mutter vorsichtig.
    »In Berchtesgaden. Kein Mensch war da. Keine Verkäuferin, es war ganz einfach«, antwortet Maria beiläufig, während sie weitere kosmetische Produkte auspackt.
    »Den schenke ich dir, wenn du willst.«
    Ein zuverlässiges Mittel, Mama um den Finger zu wickeln.
    »Oh … gerne. Gerade diese Farbe gefällt mir ganz besonders«, sagt sie schüchtern und schmiert ihn sich sofort auf die Lippen.
    »Ist das nicht gefährlich, Maria?«, frage ich.
    »Ach was! Was soll daran gefährlich sein? Du musst halt aufpassen. Augen überall haben. Da wird schon nichts passieren.« Maria spricht in einem merkwürdigen Singsang, ein typischer Dialekt aus ihrer Gegend, wie sie sagt. Ich kann sie gut verstehen, obwohl ich die Sprache nie gelernt habe. Viel besser als Jasna.
    »Musst die Augen offen halten«, wiederholt Jasna.
    »Danke für den Tipp«, antworte ich Jasna ironisch.
    Ich denke, selbst ihre Landsleute haben Schwierigkeiten, etwas von Jasnas Geplapper zu verstehen. Dem Typen, der sie geschwängert hat, muss es ausschließlich um Sex gegangen sein. Oder er selber muss auch so ein ausgebranntes Hirn gewesen sein, dann haben sich die beiden sicher prächtig verstanden.
    »Schau mal … rate, was das ist?«
    Maria zeigt uns einen undefinierbaren viereckigen Leinensack, der zwischen ihren Beinen hängt.
    »Oh, was ist das? Das sieht ja kurios aus«, rufe ich.
    »Nicht anfassen! Das ist heilig!«
    Maria reißt mir das Ding aus den Händen.
    »Mit so einem Sack kannst du alles erobern«, erklärt sie verschmitzt.
    »Wie soll das gehen?«
    »Du ziehst noch einen Rock drüber. Einen Rock mit Druckknöpfen. So einen hier.«
    Mama und ich kommen aus dem Staunen nicht heraus. Maria tänzelt mit dem Sack zwischen den Beinen, den sie sich selber angefertigt hat, wie eine Primaballerina. Er hängt an einem Band, das sie sich um die Hüfte geschlungen hat, in der Mitte versteckt sich ein länglicher Schlitz. Danach zieht sie einen glockenförmigen Jeansrock darüber. Sie tut es mit der Inbrunst einer Stripperin, nur dass sie sich anzieht, statt sich auszuziehen. Die Drückknöpfe in Kniehöhe bleiben offen, was nicht zu sehen ist. Dann präsentiert sie uns allerlei Kunststücke. Schuhe, Flaschen, Klamotten, Brot, Dosen, alles, was sich im Zimmer befindet, schiebt sie zwischen ihre Beine, in den verborgenen Sack. Dabei lacht sie

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